Montag, 21. Januar 2008
Tagebuch | 20.01.2008

 

C. kommt nach berlin, und das ist eine wirklich gute nachricht. wir trafen uns gestern am potsdamer platz, wo die dichter ihre jurten aufgeschlagen hatten. zum ersten mal war ich Sony dankbar für das monströse glasdach, das sie über dem center aufgespannt haben: auch was uns bedrückt, kann uns mitunter schützen, damit wir nicht im regen stehen, und der »prasselte« gestern »unaufhörlich hernieder« – ein richtiges ungarnwetter.

am bücherstand in jurte 2 trafen wir K., der gerade eine lesung hinter sich gebracht hatte und, wie er sagte, »hundemüde« war. »the drugs don't work.« wo er sie denn gelassen habe, die drogen, und warum er ihn nicht daran teilhaben lasse, wollte C. wissen, aber K. murmelte nur etwas von »ins bett jetzt, schlafen« und schaute traurig aus seinen weit geschlossenen augen (that's way too much). blieb dann doch noch eine viertelstunde, kaute erdnüsse, fragte mich beiläufig, was ich »denn so« machte, vergaß es im selben augenblick, unterhielt die buchhändler mehr durch sein gebaren als sich mit ihnen, ein kurioser zwerg, aber »großartig«, wie C. mir versicherte. ja, die jurten seien echt mongolisch-nomadisch, versicherte uns einer der händler, vor allem im sommer, wenn es heiß sei, könne man noch das schafsfett riechen, das die fellverkleidung drinnen ausdünstete, und C. landete den lacher des nachmittags mit seiner frage, ob die zelte denn durch das ständige auf- und abbauen keinen schaden nähmen, als wären sie nicht genau zu diesem zweck bestimmt.

K., fraglos ein großstadtnomade, ging schlafen und wir auf die suche nach einem café. fanden eins am gendarmenmarkt, dem mehr besuch gut getan hätte und das man guten gewissens kaum weiterempfehlen kann (insgeheim fluchte ich darüber, ein dreivierteljahr lang hier zu wohnen und noch immer die cafészene nicht einmal ansatzweise zu kennen). C. erzählte überm milchkaffee, dass er sich nun mit A. auf die konditionen ihrer zusammenarbeit geeinigt hätte. viel käme für ihn dabei nicht rum, aber es würde reichen, um sich ein zimmer zu nehmen und das kostspielige hin- und herpendeln zu finanzieren. wenn alles glatt ginge, werde er ab ende februar immer für zwei wochen pro monat in berlin sein. stellte mir dann eine textaufgabe: wörter, die eine andere bedeutung annehmen, wenn man nur einen buchstaben streicht, aber außer einem lahmen »bengel« wollte mir nichts einfallen. freute mich dafür ausgiebig darüber, dass die sache nun entschieden sei und er den schritt zum leben an zwei orten wagen wolle, und C. teilte freundschaftlich seinen cookie mit mir, legte dann noch einen amarettino nach.

als ich später durch den park zurückging, es regnete nur noch leicht und war schon dunkel, fiel mir – es muss an den anfangsbuchstaben liegen – Camus wieder ein, und ich wusste, es konnte kein besseres motto für den roman geben, den ich seit jahren in mir herumtrage und der nun danach drängt, geschrieben zu werden. zuhause angekommen, nahm ich den roten gleich mit auf die toilette, blätterte und fand, während ich mich des tages entledigte, die stelle, die ich gemeint hatte, beinah auf anhieb:
»Da hat er mich gefragt, ob mich eine Änderung in meinem Leben nicht reizen würde. Ich habe geantwortet, daß man sein Leben nie änderte, daß eins so gut wie das andere wäre und daß mein Leben hier mir keineswegs mißfiele. Er hat ein unzufriedenes Gesicht gemacht, hat gesagt, ich würde immer ausweichend antworten, ich hätte keinen Ehrgeiz, und das wäre im Geschäftsleben katastrophal. Ich bin dann wieder an meine Arbeit gegangen. Es wäre mir lieber gewesen, ihm keinen Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben, aber ich sah keinen Grund, mein Leben zu ändern. Wenn ich recht darüber nachdachte, war ich nicht unglücklich. Als ich studierte, hatte ich viele derartige Ambitionen. Aber als ich mein Studium aufgeben mußte, ist mir sehr schnell klargeworden, daß das alles ohne wirklichen Belang ist.«

Albert Camus: Der Fremde. Roman. In neuer Übersetzung von Uli Aumüller. Reinbek: Rowohlt, 502000, S. 52.

 

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