Samstag, 16. Februar 2008
Tagebuch | 15.02.2008

 

liebe gewohnheiten. die freitagstreffen mit H. und V., pendelnd zwischen »goldmarie« und »espressolounge« – wissen selbst nicht, warum wir nicht auch mal woanders hingehen. nachdem wir es tatsächlich eine ganze weile lang geschafft hatten, uns jeden freitag zu sehen, sind die treffen seit jahresanfang seltener geworden: mal hat H. einen interviewtermin, der sich nicht verschieben lässt, mal ich einen lektoratsauftrag, der mich das wochenende kostet, mal steckt V., der ohnehin zwölf stunden am tag im büro sitzt, bis über beide ohren in arbeit. alle drei sind wir selbständig, haben unsere sorgen damit und sind doch froh darum. wir prahlen ein wenig voreinander mit dem, was wir können und sind und was wir erreichen wollen. H. zieht es über kurz oder lang fort von hier; er kann diese stadt nicht mehr sehen, mag ihre menschen nicht mehr ertragen, erst vor kurzem hat er sich noch bitter amüsiert über einen zeit-essay zum »bionade-biedermeier« im prenzlberg, der ihn in seiner zunehmend zynischen haltung nur bestärkt. was im übrigen auch auf mich zutrifft. diese uniformität des gewollten andersseins, die einem hier ständig begegnet, geht mir ganz gehörig auf den geist. mein treptow, ick lobe dir, du unhippe trutzburg der unveränderlichkeit. mein bochum des ostens, oder (mayröckerlike:) mein arbeitstirol. und so etwa ratschen wir waschweiber von kreuzberg uns auch ins wochenend, milchkaffeeschaum vorm mund, dass es nur so spritzt und ein Ralph Morgenstern seine wahre freude an uns hätte. sind wir ausgetalkt, geht jeder wieder seiner wege, ohne liebesschwüre und ohne viel privates miteinander gesprochen zu haben. es könnte leichter nicht sein, kurzweiliger kaum, ich atme befreit und weiß: jetzt ist wochenende.

aber jede leichtigkeit rächt sich – wenn nicht durch müdigkeit oder kopfschmerzen, dann spätestens durch die lieben anonymen mitmenschen. manchmal reicht schon ein blick, mich mitten im schwung aufzuhalten, mich auf meinen vermeintlichen platz zu verweisen. und dieses mal war es der spruch eines sechzehnjährigen platzhirschs in der brechend vollen u-eins, na immerhin hat er mich gesiezt: »Sie stoßen mich die ganze zeit mit Ihrem bauch an.« – »ja«, erwiderte ich so gelangweilt wie möglich, »das kann vorkommen.« – »das ist aber belästigung. Sie belästigen mich, wissen Sie das?« – und sein kollege (allein trauen sich diese typen ja nicht), gleichalt und genauso borniert: »Sie könnten auch mal abnehmen, ne?« – wie fast allen, die schon mal in einer vergleichbaren situation waren, fiel auch mir nichts passendes, vor allem nichts treffendes ein, das ich hätte entgegnen können. ich weiß, es sind kinder, und gemessen an dem, was ich mir im laufe der jahre schon alles an beleidigungen über mein äußeres anhören musste (besonders von kindern und klein gebliebenen erwachsenen), waren diese hier wirklich harmlos. aber wie sehr wünsche ich mir, manchmal einfach meine beherrschung, die ja nichts anderes ist als ein tief empfundenes ohnmachtsgefühl, verlieren zu können. vermutlich hätte es schon gereicht, mich einfach nur aufzuplustern und finster dreinzuschauen (ein ein meter neunzig großer, hundertfünfzig kilo schwerer kerl macht an sich ja schon was her).

Der böse M. (2000) Der böse M. (2000)

ich kann nämlich auch böse
(es glaubt mir nur keiner)

aber ich habe den gleichgültigen gemimt, und es war ein glück, dass die bahn so voll war und ich kurz darauf schon aussteigen musste. trotzdem, der tag war gelaufen. ich stand an der bushaltestelle, und von minute zu minute mächtiger wuchs in mir die wut: auf diese zwei pisser, denen ich das freche grinsen nur zu gern aus der visage gebügelt hätte, und auf mich selbst, der ich solche gewaltphantasien mit mir herumtrage, obwohl ich den beiden intellektuell weit überlegen bin. so stapfte ich erst ein wenig hin und her, und als das nicht helfen wollte, machte ich mich zu fuß auf den weg nach hause. drei, vier kilometer halbwegs schnellen schrittes zu gehen, hilft durchaus. am treptower park angekommen, war von meiner wut nurmehr traurigkeit übrig. erleichtert darüber, keinem menschen mehr begegnen, nicht noch mehr blicke auf mir spüren zu müssen, ging ich von baum zu baum, betastete, las die rinden mit der zärtlichkeit eines autisten.

die natur ist ein ungeheurer trost, wenn es die menschen nicht sind. schon als ich den park zum ersten mal sah, wusste ich, dass dies mein ort sein würde in dieser stadt, so wie es in bonn die poppelsdorfer allee gewesen ist. mein ort, auch wenn ich nicht täglich dort bin, nicht stundenlang dort herumwandle, etwas, das verlässlich da ist und dort bleibt und, ein vielleicht nicht ganz unwesentlicher gedanke, sich nicht gegen meine anwesenheit wehren kann. ein anderer trost ist musik: ich singe laut mit, und da ich nicht vorhabe, mich bei DSDS zu bewerben, ist es mir herzlich egal, ob es schön oder schief klingt. manchmal spreche ich auch gedichte dazu oder rede mich selbst von der palme runter. das alles geht freilich nur, wenn ich allein bin, und fällt in diesem fall flach, weil ich zur zeit besuch habe: ein jüngelchen aus wiesbaden, das ein freund mir ins nest oder besser ins nebenzimmer gelegt hat. nein, ich will nicht zu abfällifg von ihm sprechen. es wäre falsch, meine wut auf ihn zu übertragen, zumal er sich sehr anständig verhält und ich ihm einige gute warme mahlzeiten zu verdanken habe. er bemüht sich, kein allzu großes hindernis zu sein, aber es nervt bisweilen, in den eigenen vier wänden nicht allein sein zu können, besonders jetzt. der junge mann ist auf wohnungs- und jobsuche hier im erlösungsmoloch, wie ein freund diese stadt mal sehr treffend genannt hat, und im moment hat es den anschein, dass die ursprünglich verabredeten zwei wochen, für die er bei mir einquartiert sein sollte, dafür nicht reichen werden. ich bin nicht der mensch, der einen anderen einfach vor die tür setzen kann. aber vielleicht kommt mir die natur zuhilfe. das zimmer, das er bewohnt, ist nämlich nicht beheizt, weshalb ich es sonst auch nur als abstellraum nutze, und in den letzten tagen ist es empfindlich kalt geworden. er schnieft schon ganz ordentlich. wie gesagt: die natur ist ein trost.

aber musik hören, so wie ich mir das wünsche, kann ich jetzt trotzdem nicht. ohnehin sollte ich eigentlich arbeiten. stattdessen blättere ich in alten unterlagen – und finde das hier:

Artikel aus der Westerwälder Zeitung vom 27. Januar 1999 (*klick*)

[artikel aus der westerwälder zeitung, regionalausgabe der rhein-zeitung,
vom 27. januar 1999 :: vollständige ansicht nach dem klick]

dazu wäre weißgott viel zu sagen. aber das ist eine ganz andere geschichte

 

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