Mittwoch, 24. Dezember 2008
weihnachtsgrüsse aus der provinz heimat
marcel diel, 23:29h
postkartenmotiv von ca. 1953. – die kirche hat längst keinen zwiebelturm mehr, auch die bauernhöfe sind größtenteils verschwunden und die winter bringen nur noch selten so viel schnee, dass man an den hängen über dem dorf schlitten fahren könnte. aber schön friedlich ist es hier. meistens.
* * *
ebernhahn I: lage/bestimmung
vom hang an talwärts fliessend breitet der ort sich unsymme
trisch das zentrum am nördlichen ende ringsum in felder
der barsche himmel spannt sich und brandet über
die hohen hügel in unbebaute äcker münden
gefräßige tongruben stürzen und steigen
auf halden hinaus und ertrinkt in
zäher luft bis wieder hinauf an
den waldrand lässt ferne lässt
tiefe — und wegkreuze die
auf geschichte verweisen
ebernhahn II: geschichte
vom stolz des ortes erzählen
die trümmerlosen stätten:
hier die kapelle
hier war der backes
hier war die kirche
hier unsre felder
keine gedenktafeln keine
chronik in feuchten
kellern schimmeln die
akten des dorfes mit
genehmigung der gemeinde
geschichte schweigt
am trümmer
losen ort
ebernhahn III: leben
im sommer ernten
druuschele plicke*
von dornigen sträuchern
im herbst den wind verfolgen
der die felder wiesen bäume
durchkämmt umpflügt bestellt
im winter hasen katzen vogel
spuren lesen im kristallnen schnee
im frühling bestellung der gärten
(tomaten, kopfsalat, erdbeeren)
brennesselsaat auf den brachen
dem aufbruch der erde lauschen
nichts erwarten ausser
den nächsten regen
laub und blütenfall
hitze und frostschlag und
an jedem morgen den
nebel über den wiesen und
das rot in den bäumen
am abend
das gedicht entstand zwischen dem 31. mai und dem 3. juni 1999 und wurde am 3. und 4. juli 2001 grundlegend überarbeitet. es wurde zuerst im rahmen des internet-projekts textropolis veröffentlicht. der erste teil, »lage/bestimmung«, erschien außerdem in der anthologie Lyrik von Jetzt (hrsg. von Jan Wagner und Björn Kuhligk, köln: DuMont, 2003).
die verschiedenen biografischen und werkimmanenten bezüge sollen in einem späteren eintrag erläutert werden. ich bitte noch um ein wenig geduld.
* hochdt.: stachelbeeren pflücken (zugleich der titel des einzigen gedichtes, das ich jemals auf ›ebernhähner platt‹ geschrieben habe)
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rrho,
Donnerstag, 25. Dezember 2008, 00:51
Weniger lyrisch und eher weniger aus der Provinz herzliche Grüße zum Fest und zurück!
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