Montag, 21. Januar 2008
Alles auf Anfang
Mit 28 gab ich das Schreiben auf. An einem Punkt angelangt, an dem ich glaubte, mir selbst nichts mehr zu sagen zu haben, fiel es mir nicht schwer, diese Entscheidung zu treffen. Es gab andere Aufgaben, auf die ich mich konzentrieren konnte und die mit der Zeit das, was man am treffendsten wohl als Schreibfieber bezeichnen kann, gänzlich verdrängten.

Ohnehin war ich immer gut darin gewesen, mich und meine Fähigkeiten in Grund und Boden zu reden; kein Kritiker konnte härter mit mir ins Gericht gehen als ich selbst. Ich war mein eigener Reich-Ranicki, und je mehr Zeit verging, desto grrrrässlicher fand ich meine Texte. Dass andere das nicht so sahen, bestätigte nur meine Ansicht, dass ich selbst mein bester Kritiker war. Nicht umsonst hatte ich Germanistik studiert und damit ein Instrumentarium erworben, das es mir erlaubte, meine eigenen Texte akribisch zu zerlegen.

Wie ein Pathologe sich durch die Gedärme eines Toten arbeitet, wühlte ich mich durch meine Gedichte: »Na, was haben wir denn hier? Ein bisschen Rilke, ja das ist dem Magen nicht gut bekommen. Und sehen Sie dort den Eichendorff? Der hat ihm ganz allmählich die Galle zugesetzt. Und dann noch ein Restchen Weinheber in der Leber – naja, allzu lange wäre das wohl nicht mehr gutgegangen. Den Garaus gemacht hat ihm allerdings der Born im rechten Lungenflügel, der sich ganz langsam bis zur Aorta durchgefressen hat ...«

Schluss damit. Zu viel Sarkasmus macht krank und ist doch meist nur schlecht kaschiertes Selbstmitleid. Um das einzusehen, brauchte es eine schmerzhafte Trennungsgeschichte und einen Umzug in eine andere Stadt. Dort sitze ich nun und hole noch einmal die alten Texte hervor, die ich, obwohl ich die meisten davon geringschätze, in Kisten ohne besondere innere Ordnung aufbewahrt habe. Jenseits aller Selbstzweifel denke ich, es muss etwas dran sein an diesen Gedichten. Immerhin gab und gibt es Leute, die sich viel Mühe damit gemacht haben, sie in Zeitschriften und Anthologien zu veröffentlichen und teilweise sogar in andere Sprachen, ins Dänische, Polnische, Rumänische, Englische zu übersetzen, ohne dass ich sie darum gebeten habe.

Dieses Blog trägt den Titel »Wesland«, über den noch zu reden sein wird (wie er auszusprechen ist, sei erst einmal dahingestellt), und soll eine Auswahl meines bisherigen literarischen Schaffens (meist Gedichte, aber auch ein bisschen Prosa) dokumentieren. Rund fünf Jahre sind vergangen, seit ich meinen Entschluss, das Schreiben aufzugeben, gefasst habe, und die meisten Texte daher nicht mehr frisch genug, um sie jetzt noch Verlagen anbieten zu können (was ich übrigens früher nie ernsthaft in Erwägung gezogen habe). Schade finde ich das allerdings nicht, denn es war mir damals, als ich sie schrieb, immer wichtiger, dass und nicht wie sie ihre Leser erreichen, und diesem (wenn man so will) früheren Ich fühle ich mich verpflichtet. Ich habe etwas an mir gutzumachen, und es versteht sich von selbst, dass ich dies nicht unter irgendeinem verschwiemelten Pseudonym, sondern unter meinem wirklichen Namen tue.

Dies ist ein Blog und keine Homepage. Daher habe ich mir vorgenommen, hier auch eine Art von Tagebuch zu führen, das vor allem dazu dienen soll, zu dokumentieren, ob es mir gelingt, den Faden, den ich damals abgerissen habe, noch einmal aufzunehmen. Damals stellte ich mich vor die Entscheidung: Will ich mich ernsthaft als Schriftsteller versuchen oder nicht? Und habe mich aus allgemeiner Frustration heraus dagegen entschieden. Heute weiß ich: Ich muss diese Entscheidung gar nicht treffen. Ich muss nicht Schriftsteller werden wollen, ich will nur schreiben und mich damit wieder der einzigen Tätigkeit widmen, die mich jemals wirklich erfüllt und glücklich gemacht hat. Dass ich das nicht im Geheimen, sondern öffentlich tun möchte, hat natürlich einerseits mit Eitelkeit zu tun; andererseits kenne ich mich zu gut, um zu wissen, dass ich ohne zumindest ein bisschen Druck von außen nicht von der Stelle komme. Allein zu wissen, dass es Menschen da draußen gibt, die hier mitlesen, wird hoffentlich ausreichen, mich wieder in Bewegung zu setzen – und zu halten.

Also, nochmal tief Luft holen, Anlauf nehmen ... und alles auf Anfang

 

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Kommt mir vertraut vor
Lieber Marcel! Viel Glück für "alles auf Anfang"! Ich werde gerne deine Beiträge verfolgen und mit dabei sein. Schreiben oder nicht, das ist eine Überlegung, die mich auch gerade bewegt. Mein erster Roman ist wohl, nach den Verkaufszahlen zu urteilen, ein Flop. Das war in den letzten drei Jahren meine große Hoffnung gewesen, ich hätte gern die Fortsetzung und noch mehr geschrieben. Und jetzt? Als ich 33 war, kam ich beschädigt aus dem Journalismus, fing zwei Romane an, doch dann packte mich die Parapsychologie, über die ich alles wissen und danach mein Wissen weitergeben wollte. Dann, da war ich schon 44, hat mich das Fieber wieder erwischt, in Rom. Und nun hat man ein paar Bücher geschrieben, null Geld, wenig Resonanz - aber was ist das Leben ohne das Schreiben? Man muss weitermachen, das schwant mir auch, und du bist ja noch jung. Schon ein paar Leser, Interessierte, Freunde "da draußen" helfen einem, Mut zu fassen. Also geben wir uns gegenseitig Mut und tun so, als fingen wir gerade wieder neu an. Jeder neue Satz ist wie eine Geburt. Auch ein neuer Blog. Viel Glück für das Projekt und frisch ans Werk, viele Grüße Manfred.

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Aber ich lese doch
(lese ich gleichwohl inzwischen weniger - bewegte Bilder und Tastaturen verderben!) eh' mit. Versteht sich, oder nicht? Bin aber gespannt, wie und wohin ich hier im Tagebuch einmal auftauche. Und nein, werde dazu schweigen, freudig.

(Und das Ende des Pseudonyms werde ich gerne spiegeln!)

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