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Sonntag, 23. März 2008
In dem kühlen Grund
marcel diel, 17:41h
Du armer Hund!
Sitzt sturzbetrunken im Café und simulierst
Die Träume, die dein Leben nicht erfüllen wollte.
Scher dich nicht drum!
Denn irgendwer gibt schon die nächste Runde aus
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles, tiefes Tal
grüß tausendmal
Und heul nicht rum!
Die nächste Flasche geht ja schon von Hand zu Hand
Kein Gast wurd je im Café Wundermild vergessen
Auf ex – und hopp!
Hier ist ein Wartesaal
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles, tiefes Tal
grüß tausendmal
Jetzt schau dich um!
Da draußen haben Kinder in den Weiden
So blaue Bänder, Galgenstricklein, aufgehängt
Welch ein Idyll!
Die Katze döst am Dornstrauch unter Beeren
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles Heimattal
grüß tausendmal
Sei nicht so dumm!
Ein Mühlrad geht im Kopf herum, doch immerhin
Die Liebste ist dir treu. Mach kein Geschrei
Geh lieber heim! Geh nie mehr in die Stadt!
Begrab dort deine Träume
In dem kühlen Grund
Dem kühlen Wiesengrund
Im allzu stillen Tal, so wie
schon tausendmal
Die Angst geht um! – Spürst dus?
Jetzt wirf die Flasche weg, nimm dein Gewehr
Ne Packung blaue Bohnen noch dazu
Und baller rum!
Zerklump das scheiß Klavier, wer braucht das hier!
In dem kühlen Grund
Dem kühlen Wiesengrund
Grüß zum letzten Mal
dein Jammertal
Und stumm! Häng hier nicht länger rum!
Die Träume hast du mit nem saubren letzten Schuss
durchs Dach erledigt. Brav.
Sprich dein Gebet, das Seil gut eingeseift / vergiss
das Fährgeld nicht! (unter der Zunge zu plazieren)
Dein letzter Gang
Durch den kühlen Grund
In den kühlen Grund
Verlass den Wartesaal
Dein tiefes Tal
Das Gedicht entstand zwischen dem 24. und 26. Januar 2004, inspiriert durch Texte der oben genannten und verlinkten Herren. Es ist Teil einer Reihe von freien Liedübertragungen, die Crauss und ich ein paar Jahre lang fast wettstreitartig angefertigt und unter dem gemeinsamen Titel »Gesprochene Lieder« zusammengetragen, teilweise auch bei Lesungen präsentiert haben.
Statt einer weiteren Erläuterung zum obigen Text hier ein Auszug aus einer Mail vom 22. November 2007:
Lieber P.,›Original‹ gefällig?
[...] Über Eichendorff schrieb ich vor Kurzem noch an einen Freund ein paar sehr herbstlastige Zeilen:»Du kennst doch dieses wunderbare Gedicht ›In einem kühlen Grunde‹ vom Taugenichts Eichendorff? Das ist mein Inbegriff der Melancholie. Rilke trägt da viel zu dick auf, überreizt die Tränendrüse gehörig. Aber Eichendorff hat uns, glaube ich, was zu sagen. Auch wenn es das ganze Inventar, seine Mühlen, Spielmänner, Reiter und blut'gen Schlachten so nicht mehr gibt – das Gefühl, das er beschreibt, diese Trauer über erlebte Enttäuschungen, dieses Seiner-selbst-überdrüssig-Sein, vor den eigenen Träumen zu verzagen und lieber sterben zu wollen, als die Ungewissheit des eigenen Willens und der eigenen Freiheit weiter ertragen zu müssen. In diesem kleinen Liedchen liegen, wenn man's genau betrachtet (aber seit ›Matrix‹ wissen wir ja, was mit den Dingen geschieht, wenn man sie genauer betrachtet – ›there is no spoon!‹), eineinhalb Jahrhunderte Geschichte begründet und begraben. Und kein Männergesangsverein schafft es, uns das zu zersingen.«
Das ist schon so. Immer wenn ich Rilke lese, schäme ich mich fast dafür, dass mich seine melancholischen Gedichte so tief berühren – weil sie mir geradezu darauf angelegt scheinen, feinen Fräuleins beim Nachmittagstee ein Seufzen zu entlocken, so stelle ich mir das jedenfalls vor. Diese heroische Einsamkeit, die aus vielen seiner Texte spricht, klebt.
Ganz anders bei Eichendorff, der es immer wieder schafft, mich zu überraschen. »In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad« – Idyll – »mein' Liebste ist verschwunden, die dort gewohnet hat« – Melancholie – »... Sie hat die Treu gebrochen, mein Ringlein sprang entzwei« – Trauer, und direkt daran anknüpfend die Frage: Was fängt man nun an mit seiner ungewollten neuen Freiheit? »als Spielmann reisen weit in die Welt hinaus«? »als Reiter fliegen wohl in die blut'ge Schlacht«? Jedenfalls: bloß schnell weg hier! Aber so einfach ist das nicht: »Hör' ich das Mühlrad gehen, ich weiß nicht, was ich will« – Zweifel, und dann: »ich möcht' am liebsten sterben, da wär's auf einmal still« – Das Idyll vom Anfang wird am Ende zum Anlass schierer Verzweiflung – André Heller fällt mir ein: »Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück.« –, das Angenehme, Beruhigende birgt schon die Katastrophe, es wandelt sich ins genaue Gegenteil. Aber genauso ist das ja mit Gefühlen: Da mag der eigene Wille noch so frei sein, sie lassen sich von ihm nicht dirigieren. Da hilft auch alles heroische Denken und Sich-selbst-neu-Entwerfen nichts, der »kühle Grund« gerät zum Grab, die Idylle wird zum (Selbst-)Mörderstück (wie war das: »Gedichte reagieren auf Gedichte zurück«?).
[Tom Waits: Cold, Cold Ground (live 1987) :: direktwaitsen]
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Donnerstag, 20. März 2008
unerhört!
marcel diel, 12:45h
eigentlich wollte ich zu dem folgenden noch was längeres schreiben, nur habe ich leider im moment einfach zu viel um die ohren. andererseits platze ich fast vor freude, und das schon seit mehreren tagen. warum?
darum:
näheres dazu auf der verlagsseite: www.suhrkamp.de
vielleicht komme ich nach ostern dazu, mehr über die spannende arbeit an diesem buch zu berichten – dann aber vermutlich eher dort.
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Dienstag, 26. Februar 2008
procrastination is ...
marcel diel, 18:10h
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Sonntag, 17. Februar 2008
Süd-stadt-frühling
marcel diel, 15:20h
ja, ich weiß, es ist noch etwas zu kalt da draußen für liebesgedichte, aber da ich gerade von der poppelsdorfer allee sprach: hier ein text, den ich vor zehn jahren, im frühjahr 1998, dort verfasst habe:
- Süd-stadt-frühling
Wo i geh und steh / tut mir mei herz so weh
Denn frühling bläst verliebtheit durch alleen
Wie heuschnupfn greifts um sich
Greift sich menschchen am schlafittchen
Gräbt sich tief in bronchen
Pfeift durchs blut und trifft
MIT-TEN-INS-HERZ
Wann d’herzmusi spuilt
Hast keine ruh nicht mehr
Hast den verstand im aschenbecher ausdrückt
Mit der letztn winterkippn die noch wusst
Von herbst(herz)leid : wer jetzt-keinhaus &
jetzt-alleinist wird es lange
Jetzt wander ich wie ein verlorner
Wie ein verlierer wander ich beschämt
Durchs stadtbild drängts mich hin
Zu der erlösung der alles lösenden krank
heit und schreits und singts aus mir heraus :
Wennich verliebtbin muss ich jo-dln
das gedicht ist eines von etwa zehn liebesgedichten, die ich in jenem frühjahr in kurzer folge hintereinander wegschrieb. fast alle davon entstanden auf einer parkbank auf nämlicher allee, und alle waren inspiriert durch dieselbe person. die schwärmerei für sie wich allerdings schon bald der ernüchterung. wie das eben so ist.
wie viele meiner texte ist »Süd-stadt-frühling« in erster linie zum vortrag bestimmt. wortkomposition, zeichenformate, interpunktion und enjambements verdeutlichen meine vorstellung davon. und wie andere gedichte weist auch dieses mehr oder minder deutliche referenzen auf, so etwa auf den »erzherzog-johann-jodler« und einen titel von Franzl Lang. warum ausgerechnet volkstümliche lieder? weil ich mit ihnen aufgewachsen bin. ich stamme aus einem ernst-mosch-haushalt, war selbst zehn jahre lang mitglied eines blasmusikorchesters, das zum großen teil solche nummern gespielt hat, und auch wenn ich privat alles andere als ein fan dieser musik bin, muss ich doch zugeben, dass es spaß gemacht hat.
zusammen mit anderen texten zum thema liebe erschien »Süd-stadt-frühling« im april 1998 in einem kleinen heftchen, das ich hauptsächlich für freunde zusammengestellt und selbst verlegt hatte. mehr dazu & daraus demnächst.
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Samstag, 16. Februar 2008
Tagebuch | 15.02.2008
marcel diel, 19:06h
liebe gewohnheiten. die freitagstreffen mit H. und V., pendelnd zwischen »goldmarie« und »espressolounge« – wissen selbst nicht, warum wir nicht auch mal woanders hingehen. nachdem wir es tatsächlich eine ganze weile lang geschafft hatten, uns jeden freitag zu sehen, sind die treffen seit jahresanfang seltener geworden: mal hat H. einen interviewtermin, der sich nicht verschieben lässt, mal ich einen lektoratsauftrag, der mich das wochenende kostet, mal steckt V., der ohnehin zwölf stunden am tag im büro sitzt, bis über beide ohren in arbeit. alle drei sind wir selbständig, haben unsere sorgen damit und sind doch froh darum. wir prahlen ein wenig voreinander mit dem, was wir können und sind und was wir erreichen wollen. H. zieht es über kurz oder lang fort von hier; er kann diese stadt nicht mehr sehen, mag ihre menschen nicht mehr ertragen, erst vor kurzem hat er sich noch bitter amüsiert über einen zeit-essay zum »bionade-biedermeier« im prenzlberg, der ihn in seiner zunehmend zynischen haltung nur bestärkt. was im übrigen auch auf mich zutrifft. diese uniformität des gewollten andersseins, die einem hier ständig begegnet, geht mir ganz gehörig auf den geist. mein treptow, ick lobe dir, du unhippe trutzburg der unveränderlichkeit. mein bochum des ostens, oder (mayröckerlike:) mein arbeitstirol. und so etwa ratschen wir waschweiber von kreuzberg uns auch ins wochenend, milchkaffeeschaum vorm mund, dass es nur so spritzt und ein Ralph Morgenstern seine wahre freude an uns hätte. sind wir ausgetalkt, geht jeder wieder seiner wege, ohne liebesschwüre und ohne viel privates miteinander gesprochen zu haben. es könnte leichter nicht sein, kurzweiliger kaum, ich atme befreit und weiß: jetzt ist wochenende.
aber jede leichtigkeit rächt sich – wenn nicht durch müdigkeit oder kopfschmerzen, dann spätestens durch die lieben anonymen mitmenschen. manchmal reicht schon ein blick, mich mitten im schwung aufzuhalten, mich auf meinen vermeintlichen platz zu verweisen. und dieses mal war es der spruch eines sechzehnjährigen platzhirschs in der brechend vollen u-eins, na immerhin hat er mich gesiezt: »Sie stoßen mich die ganze zeit mit Ihrem bauch an.« – »ja«, erwiderte ich so gelangweilt wie möglich, »das kann vorkommen.« – »das ist aber belästigung. Sie belästigen mich, wissen Sie das?« – und sein kollege (allein trauen sich diese typen ja nicht), gleichalt und genauso borniert: »Sie könnten auch mal abnehmen, ne?« – wie fast allen, die schon mal in einer vergleichbaren situation waren, fiel auch mir nichts passendes, vor allem nichts treffendes ein, das ich hätte entgegnen können. ich weiß, es sind kinder, und gemessen an dem, was ich mir im laufe der jahre schon alles an beleidigungen über mein äußeres anhören musste (besonders von kindern und klein gebliebenen erwachsenen), waren diese hier wirklich harmlos. aber wie sehr wünsche ich mir, manchmal einfach meine beherrschung, die ja nichts anderes ist als ein tief empfundenes ohnmachtsgefühl, verlieren zu können. vermutlich hätte es schon gereicht, mich einfach nur aufzuplustern und finster dreinzuschauen (ein ein meter neunzig großer, hundertfünfzig kilo schwerer kerl macht an sich ja schon was her).
ich kann nämlich auch böse
(es glaubt mir nur keiner)
(es glaubt mir nur keiner)
aber ich habe den gleichgültigen gemimt, und es war ein glück, dass die bahn so voll war und ich kurz darauf schon aussteigen musste. trotzdem, der tag war gelaufen. ich stand an der bushaltestelle, und von minute zu minute mächtiger wuchs in mir die wut: auf diese zwei pisser, denen ich das freche grinsen nur zu gern aus der visage gebügelt hätte, und auf mich selbst, der ich solche gewaltphantasien mit mir herumtrage, obwohl ich den beiden intellektuell weit überlegen bin. so stapfte ich erst ein wenig hin und her, und als das nicht helfen wollte, machte ich mich zu fuß auf den weg nach hause. drei, vier kilometer halbwegs schnellen schrittes zu gehen, hilft durchaus. am treptower park angekommen, war von meiner wut nurmehr traurigkeit übrig. erleichtert darüber, keinem menschen mehr begegnen, nicht noch mehr blicke auf mir spüren zu müssen, ging ich von baum zu baum, betastete, las die rinden mit der zärtlichkeit eines autisten.
die natur ist ein ungeheurer trost, wenn es die menschen nicht sind. schon als ich den park zum ersten mal sah, wusste ich, dass dies mein ort sein würde in dieser stadt, so wie es in bonn die poppelsdorfer allee gewesen ist. mein ort, auch wenn ich nicht täglich dort bin, nicht stundenlang dort herumwandle, etwas, das verlässlich da ist und dort bleibt und, ein vielleicht nicht ganz unwesentlicher gedanke, sich nicht gegen meine anwesenheit wehren kann. ein anderer trost ist musik: ich singe laut mit, und da ich nicht vorhabe, mich bei DSDS zu bewerben, ist es mir herzlich egal, ob es schön oder schief klingt. manchmal spreche ich auch gedichte dazu oder rede mich selbst von der palme runter. das alles geht freilich nur, wenn ich allein bin, und fällt in diesem fall flach, weil ich zur zeit besuch habe: ein jüngelchen aus wiesbaden, das ein freund mir ins nest oder besser ins nebenzimmer gelegt hat. nein, ich will nicht zu abfällifg von ihm sprechen. es wäre falsch, meine wut auf ihn zu übertragen, zumal er sich sehr anständig verhält und ich ihm einige gute warme mahlzeiten zu verdanken habe. er bemüht sich, kein allzu großes hindernis zu sein, aber es nervt bisweilen, in den eigenen vier wänden nicht allein sein zu können, besonders jetzt. der junge mann ist auf wohnungs- und jobsuche hier im erlösungsmoloch, wie ein freund diese stadt mal sehr treffend genannt hat, und im moment hat es den anschein, dass die ursprünglich verabredeten zwei wochen, für die er bei mir einquartiert sein sollte, dafür nicht reichen werden. ich bin nicht der mensch, der einen anderen einfach vor die tür setzen kann. aber vielleicht kommt mir die natur zuhilfe. das zimmer, das er bewohnt, ist nämlich nicht beheizt, weshalb ich es sonst auch nur als abstellraum nutze, und in den letzten tagen ist es empfindlich kalt geworden. er schnieft schon ganz ordentlich. wie gesagt: die natur ist ein trost.
aber musik hören, so wie ich mir das wünsche, kann ich jetzt trotzdem nicht. ohnehin sollte ich eigentlich arbeiten. stattdessen blättere ich in alten unterlagen – und finde das hier:
[artikel aus der westerwälder zeitung, regionalausgabe der rhein-zeitung,
vom 27. januar 1999 :: vollständige ansicht nach dem klick]
vom 27. januar 1999 :: vollständige ansicht nach dem klick]
dazu wäre weißgott viel zu sagen. aber das ist eine ganz andere geschichte
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