Dienstag, 21. Oktober 2008
das rote buch (iv): departure lounge (1998–2000)
[Zu Teil 1]

 

zuerst der ort, dann der gedanke. […]
die schilder der bahn sind neuerdings
blau, schieben tiefe, die anzahl der zigaretten

vor den gleisen ist immer noch höher als die
der bekanntschaften, die man macht. schalen
sitze & kiesel, sprachtakte, erinnerung

brachte mich her, denke ich als ich gehe […]


Aus dem Gedicht departure lounge von René Hamann
(in ders., Neue Kokons. Gedichte,
lyrikedition 2000, München 2003, S. 13)

 

(Für M. – der mich antreibt, mehr zu wagen als das. irgendwann. bald.)

 

Tagebucheintrag vom 15. Februar 1998 (Faksimile)

 

Bonn Hbf., Bahnsteig 3, Warten auf IR, 15.02.98

Menschen sind seltsam. Sie stieren, während sie warten, stieren sie einen an, als wollten sie sagen: Geh fort! Hier warten wir, und du bist keiner von uns. Langsam bekomm ich Gefängnispsychose, hab ich das Gefühl. Manchmal fällt es schwer, Phantasie und Wirklichkeit auseinanderzuhalten.

Im Zug:

Hier gestaltet sich mein Untergangsszenario: Kopfschmerzen, leichtes Benommenheitsgefühl, hinter mir sitzen drei Französinnen, die unentwegt schwatzen – aber halt! da gehen sie auch schon, siedeln über ins andere Abteil. Ich fahre nach Hause mit knapp 3 Mark in der Tasche. Geldverdienen müßte ich auch noch. Gestern befiel mich während eines

Gesprächs mit U. kurzzeitig der Gedanke, ich würde mein Studium abbrechen müssen, wenn das Bafög mir jetzt oder in 2 Semestern gestrichen würde. Möglich ist das. Dann stünde ich viel früher als ohnehin erwartet vor dem Nichts und wäre gezwungen, mir was zu überlegen. Vielleicht aber sollte ich bis dahin auch "einfach" mehr in mein Talent investieren, mich um Veröffentlichungen bemühen, was ich momentan so gut wie gar nicht tue. Mehr und mehr aber wird mir auch klar, daß im Grunde mich kein Beruf jemals so erfüllen könnte, wie es das Schreiben und das Vortragen tun. Wenn ich an Gott glauben wollte als den Schenker dieser Gabe, so müßte ich auch glauben, er wisse schon Sinn und Weg – und dann wäre auch der Zirkelschluß zur Bedingungslosigkeit meiner Kindheit gezogen …

 

Tagebucheinträge vom 18. und 25. Februar 1998 (Faksimile)

 

IR Bonn–Koblenz, 18.02.98:

Vielleicht liegt es am heraufkommenden Frühling, vermutlich jedoch eher an meiner persönlichen Einstellung, daß ich immer nur das eine denken kann, z.B. gerade eben noch auf dem Bahnsteig beim Betrachten hauptsächlich der weiblichen Herumstehenden. Als wäre es das einzig denkbare, so toll, so großartig, daß man sich davon beherrschen lassen möchte. Aber mein Geist weiß schon, was er mir antun möchte, vor allem, warum er es tut: weil ich den Gedanken so sehr von mir abweise, weil ich so sehr darauf bestehe, ein – bitteschön – geschlechtsloses Wesen zu sein. Ja, er weiß es. Darum.

 

IR Koblenz–Bonn, 25.02.98:

Mit mir im Abteil was man "echte" Menschen nennt: Zwei Penner auf dem Weg nach sonstwohin, unterhalten sich über Fastnachtsvorfälle (zerstochene Reifen, eingeschmissene Schaufensterscheiben, eingebuchtete Zechkumpane, kürzlich verstorbene Mitstreiter). "Leben am Minimum." Der eine, mit hörbar geschädigten Stimmbändern, hat bis eben noch Zigarre geraucht und damit die restlichen zwei Abteilinsassen vertrieben. Jetzt steigen sie aus. Ihre Fahrt dauerte nur eine Station.
Über "echt" oder "nicht echt" ließe sich natürlich streiten, fest steht, daß ich niemals so hart am Leben sein möchte wie diese zwei, die ich respektiere in stiller beinahe Bewunderung.

 

Tagebucheintrag vom 3. Mai 1998 (Faksimile)

 

IR Koblenz–Bonn, 03.05.98:

Daß ich mir das nicht abgewöhnen kann, stets zu denken, das Lachen anderer müßte mir gelten. Halte ich mich eigentlich selbst für so lächerlich? Vor allem weibliches Lachen. Nun gut, es unterstützt sicherlich ein Minderwertigkeitsgefühl in mir. Was soll das! Anwesenheit von Frauen, vor allem jungen, macht mich konfus. Ich weiche ihrem Blick, dem zufälligen (besser gesagt), aus. Und es ist auch besser, obwohl es quälend sein kann (hängt von mir ab, nicht vom Objekt). Taumelnde Frauen auf der Suche nach Platz in diesem Zug. Ich sitze (relativ) sicher. Wortteufel. Ich muß den Roman zu Ende bringen. Das Seminar. Und für meine Zukunft sorgen. Noch kann ich die Fahrkarte bezahlen – noch nicht mal Studententarif!
Was will ich sein

 

Tagebucheintrag vom 19. März 1999 (Faksimile)

 

RE [Regionalexpress] Koblenz–Bonn, 19.03.99:

[Ja, ruckel Du nur! Wirst mich am Schreiben nicht hindern!]
Wenn ich mich heute noch vor den Zug werfe, in dem ich momentan sitze,
dann sagt ihnen, es sei wegen dieser irrationalen Angst gewesen. Es wird sie trösten, meine Motive, sofern ich sie erkenne und sofern sie wahr sind, nicht zu kennen, sondern schwerwiegenderes, einen [unleserlich], faßbareren Grund dafür verantwortlich machen zu können.
Es war die alte Angst, Freunde.
Macht Euch nicht diese Gedanken.
Ich bin ja bloß ausgestiegen. Abgesprungen. Vielleicht auch umgestiegen. Wir sehn uns am ferneren Bahnhof bestimmt wieder.

 

Tagebucheintrag vom 18. Juni 1999 (Faksimile)

 

IC Bonn–Hagen (Schwerte), 18.06.99:

Die bleibenden Jahre

[Fahrt in den Mittag:]
Das Leben mißt |* wie Sonnenuhren         |* sich
        sich an Schatten und Licht
Im besten Fall steht der Schatten für Sorge
        steht das Licht für Heiterkeit
        und beide im Mittag
Im schlechtesten Fall ist nur Schatten
        und Nacht
Und die Nacht hat |* zwölf Stunden         |* keine Grenze
               bis zum Tag
Oder vierundzwanzig
Dann ist kein Tag
Nur Finsternis in allen Sinnen
Kein Sinn in allem

In aller Finsternis keine Ruhe
Dann ist nur Angst & Beklemmung
[Kein Dieser Zug fährt keinen Bahnhof an
Dieser Zug kennt sein Zuhause nicht
        und kein Ziel
[Gott verschone mich vor Mitreisenden! Köln Hbf.]]
Müde bin ich
Todmüde
In den letzten
        bleibenden Jahren

"In Bonn beschreiben Sie Jahreszeiten.
In E. tun Sie das nicht." N., 19.6.99

 

Überarbeitete Fassung (August 1999, unveröffentlicht):

Die bleibenden Jahre

Das Leben mißt sich wie Sonnenuhren
        an Schatten und Licht
Im besten Fall stehen beide
        im Mittag
        im schlechtesten ist nurmehr
Finsternis in allen Sinnen
kein Sinn in allem
in aller Finsternis keine Ruhe
in aller Unruhe
nurmehr Angst

Müde bin ich
todmüde
in den letzten
        bleibenden Jahren

 

Tagebucheintrag vom 21. Juni 1999 (Faksimile)

 

IR KO–BN, 21.06.99:

Die stillenden Nächte

Tagweit die Unruhe trägt
        wie ein müder hungriger Vogel
        die Nacht heran
Wenn ich mich recke und
        auf die Zehenspitzen stelle vielleicht
        sehe ich den Morgen dort hinten und
        sehe wie düster er sein kann
In diesen Nächten wo ich
        Schlaf ersehnend nicht finde
        und die Ätschibätsch-Stimme in
        meinem Kopf in meiner verkrampften
        Brust mich verlacht
wünsch ich mir die

unvollendet und nie wieder angefasst

 

Tagebucheintrag vom 26. Januar 2000 (Faksimile)

 

ICE Mainz–Bonn, 26.1.00:

Trotz der Negativerfahrung vor mehr als drei Jahren ist mir das Unterwegssein, speziell in Zügen, lieb geblieben. Bewegt werden ohne sich selbst bewegen zu müssen, dabei entspannt Landschaft betrachten, ein Buch lesen, eine CD hören, wunderbar. Oder seinen Gedanken entspannt nachhängen. Gestern abend die Lesung vor einem Publikum, das fast zum Fürchten regungslos war, so daß ich mich während des Vortrags ganz in mich zusammenzog, quasi mir selbst performte. Ein schöner Applaus, der mich aus der Lethargie riß, froh, es hinter mich gebracht zu haben. Der schöne Rest des Abends mit Freunden, die extra aus Siegen angereist waren, das gehaltvolle, literaturreiche Frühstück, der viel zu frühe Abgang meinerseits, weil "Verpflichtungen" meiner harren in Bonn. Schöne Momente, man darf,

zumindest sollte ich nicht versuchen, sie festzuhalten, sie werden sonst starr und in dieser Erkenntnis bedrohlich. Hätte ich nur endlich diese Depression überwunden! Fast ein halbes Jahr nun, ich gebe mir keine Hoffnung mehr, ehrlich gesagt, und kenne die Konsequenz nicht. Flucht bleibt sinn- und ziellos. Es ist nun mehr Unruhe (& Einbildung, die aus Unsicherheit resultiert) denn Angst und trotzdem unangenehm, weil ich das Ende nicht sehe und, ehrlich gesagt, auch nicht mehr daran glaube. Die Tabletten helfen nicht wirklich. Ich müßte Sicherheit in mir finden, doch dazu fehlt die Ruhe (Hallo, Teufelskreis!). Ich fühle mich krank und habe das unbestimmte Gefühl, daß von mir nichts übrigbleiben wird, sollte es ein Ende geben.

 

/departure lounge

 

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Dienstag, 14. Oktober 2008
wie herr m. einmal einen kuchen backte

 

klick!

pfannenapfelkuchen – ein rezept für einen junggesellen und einen gasherd mit defekter backröhre, jetzt als fotoserie bei twitpic. einfach von unten rechts nach oben links durchklicken.

nachtrag (17|10|08): twitkrit, der perlentaucher der twittersphäre (wo die kleinen meldungen herkommen, die hier in der linken seitenleiste auftauchen), in personam Markus Trapp, lässt meinen bescheidenen back- und fotokünsten große ehre zuteil werden. herzlichen dank!

vielleicht sollte ich kochbücher schreiben ...

 

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Montag, 13. Oktober 2008
an seinem 33. geburtstag
le M., Berlin, 12.10.2008 (Foto: Rochus Wolff)
(Foto: Rochus Wolff)

 

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Sonntag, 12. Oktober 2008
das rote buch (iii): departure lounge (1997)

 

                  [...] die tage vergehen an den jahren,
hier in der gegend (ganz kaff, ganz grau & der kaffee längst lau)
sind die reime schon alt, sobald die klammer sich schliesst (um
die idylle kommt keiner herum), kommt keiner mehr an
(den andern heran), im leben nicht wieder! man bleibt
auf den restposten kleben – die tickets
fürs wegfahrn, endgültig, seit ewig vergeben.


Aus dem Gedicht departure lounge von Crauss.
(in: ders., Alles über Ruth. Gedichte,
lyrikedition 2000, München 2004, S. 18)

 

(Für K. – und für mich selbst)

 

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

KO [Koblenz], Hbf. [Hauptbahnhof], Kneipe “Bierfass”, 20.02.97

Wenn ich Freunde besuchen fahre, habe ich die größte Angst davor, uns könnte der Gesprächsstoff ausgehen. Dieses Sichnichtsmehrzusagenhaben, die weißen Flecken in einer Unterhaltung, bereiten mir ein solches Unbehagen, daß ich schon lange vor der Abreise eine tiefe Unruhe verspüre, gepaart mit einer Art Ohnmachtsgefühl mir selbst gegenüber, denn natürlich unterstelle ich mir selbst schon im Vorhinein die Schuld an diesen Dingen. In der Vergangenheit habe ich des öfteren bemerkt, daß meine pure Anwesenheit Gesprächsrunden zum Verstummen bringen konnte. Freunde sagen, es läge an meiner ruhigen, ausgewogenen Ausstrahlung – allein, das kann und will ich nicht glauben, nicht hinnehmen, fühle ich mich selbst doch so unwohl

 

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1997, Seite 2 und 3 (Faksimile)

 

und hilflos in solchen Momenten, krame in meinem Gedächtnis, das mich gewöhnlich im Stich läßt, nach Erinnerungsfetzen, um die Gruppe auf dieser Basis, der des Schwelgens, des Redens über gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse, wieder zu vereinen. Sie dürfen nicht schweigen!
Ich will nicht leugnen, daß es auch angenehme Formen der Stille gibt, solche, die innere Einkehr oder Ausgeglichenheit, Zufriedenheit oder Melancholie ausdrücken, kleine Pausen, vielleicht mit Musik unterlegt. Diese Momente vermag ich zu genießen, wenn man sich untereinander Blicke zuwirft, sich zulächelt und versteht, auch ohne Worte – gerade ohne Worte. Aber weiß man das vorher?
Jetzt werde ich wieder unterwegs sein, eine Bekannte besuchen, die ich vor drei Jahren das letzte Mal sah und zu der ich seither einen

sehr schönen und intensiven Briefkontakt halte. Und wieder sind da die Befürchtungen, meine bloße Anwesenheit könnte die Worte, die wir austauschen, nichtig machen, die Unterhaltung, die entstehen wird, zu einem Schweigen negieren, das in mir die alte Ratlosigkeit, das alte Unbehagen aufsteigen läßt, das mich vor der Zeit von dort wegtreiben wird, vielleicht mitten in der Nacht und ohne Abschied.
Oder aber: Es sei zuviel Gesprächsstoff vorhanden, so daß die Unterhaltung sich konfuser gestalten könnte, bis einer von uns ein Mißverständnis hervorruft, das alles im Streit enden läßt.
Dies sind die beiden Extreme in der Palette der Möglichkeiten. Man sollte im Vorhinein besser nicht darüber nachdenken – denke ich.

 

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1997, Seite 4 und 5 (Faksimile)

 

dto., Notizen:

"Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen."
(Spruch am Büffet in altdeutschen Lettern)
Die Weinschilder an der Wand verheißen regionale Qualität: "Mosel-Saar-Ruwer / Kinheimer Urgemund", "Granneberger Riesling", "Kloppner[?] Braunberger / Mosel-Saar-Ruwer"[.] Daß ich nicht lache!
Auf dem Tisch das Frühstückskärtchen: "Bierfass | Guten Morgen | Frühstück | 2 Brötchen, Butter, Konfitüre, eine Wurst-/Käse-Beilage, Rührei mit Schinken | 1 Glas Orangensaft und 1 große Tasse Kaffee | 9,90"[.] Was günstig ist und relativ üppig.
Ich wundere mich immer wieder, wieviele Leute morgens schon hier beim Bier sitzen. Ebenso, daß Bahnhofskneipen offenbar auch für Stammtische geeignet sind. Das ständige Kommen und Gehen paßt so gar nicht dazu.

 

dto., Bahnsteig zu Gleis 4, Warten auf den IC [Intercity]

Menschen an Bahnsteigen sind mir die liebsten. Sie beobachten und lassen sich beobachten, manche zielen direkt darauf ab, gesehen zu werden, anderen sieht man ihr Unwohlsein beim puren Gedanken daran an. Nun ist zwar um diese Uhrzeit – 10.45 – nicht allzu viel los hier, aber es lohnt sich trotzdem, die potentiellen Mitreisenden und ihr Verhalten etwas näher zu begutachten.
Außer acht lassen will ich die Herrschaften über fünfzig. Ihre Gesten, ihre Mimik sind einstudiert und über die Jahre Routine geworden: zu jedem Ort das passende Gesicht, das passende Verhalten, die passende Kleidung.
Ebenfalls außer acht lassen will ich die Gruppe der Unterzwanzigjährigen mit ihrem vorhersehbaren Verhalten,

 

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1997, Seite 6 und 7 (Faksimile)

 

meist hübsch angepaßt und nicht ahnend, wie lächerlich ihr Gehabe mitunter nach außen wirken kann. Außerdem gehen sie mir schlicht auf den Geist.
Nehmen wir also die Such&Find-Gruppe unter die Lupe.
Ich entdecke einen etwa vierzigjährigen Mann mit Fellmütze und fliederfarbenem Damenmantel. Die Bahnbeamten rümpfen die Nase, als er an ihnen vorbeigeht. Er selbst wirkt etwas orientierungslos, starrt mal in diese, mal in jene Richtung, legt schließlich den mitgebrachten Rucksack – einen Schultornister aus Leder in knalligen Farben – auf eine der Sitzbänke, steht, trippelt. Der Mann hat einen Schnauzer, sein Gesicht ist übersät von Stoppeln – soweit kann es also nicht her sein mit der Travestie, denke ich und beobachte weiter. Schließlich wendet er sich an einen zufällig herumstehenden Schaffner und fragt nach einer

Zugverbindung. Der Schaffner verschränkt die Arme, nimmt bewußt Distanz und antwortet knapp und förmlich. Der Mann geht noch ein wenig auf und ab, nimmt dann seinen Tornister auf und verschwindet aus meinem Blickfeld.
Ich orientiere mich neu. Meine Blicke haften auf einem Pärchen, beide wohl um die dreißig. Sie, klein und etwas fülliger, mit viel Make-up und dauergewellten Haaren, in einer Gymnastikhose und Pullover der gleichen Farbe, führt einen Mischlingshund an der Leine. Ihr Partner, bartstoppelig mit breitem Grinsen, in T-Shirt und abgewetzter, schwarzer Lederjacke, Blue-Jeans, insgesamt eher abgerissen, geht neben ihr, nein, er schreitet breitbeinig, sein Gesicht sagt: "Schön, daß es mich gibt." Ich grinse zurück. Er übersieht mich.
Mein Zug wird über Lautsprecher angekündigt.

 

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1997, Seite 8 (Faksimile)

 

Eine routinierte Frauenstimme mit lautstarkem Hintergrund. Ich stehe auf, greife die Henkel meiner Reisetasche und gehe die paar Schritte zur Bahnsteigkante. Ein Mädchen, zwanzig oder älter, steht da, schaut etwas nervös. In den Händen hat sie einen Papiertrichter, aus dem unten ein Stiel ragt – eine Rose, wie ich vermute. Das Mädchen wartet, blickt ungeduldig in die Richtung, aus der der Zug einfahren wird.
Ein Signal ertönt. Drei Schaffner säumen den Bahnsteig. Der IC "Heinrich der Löwe" von Basel nach Dresden trifft ein. Ich reihe mich ein in die Schlange der Mitreisenden vor der Eingangstür. Als ich den Zug betrete, höre ich hinter mir den Freudenschrei eines Mädchens. Ich lächle. Ich weiß.

 

Tagebucheintrag vom 5. April 1997, Seite 1 und 2 (Faksimile)

 

Im IR [Interregio] 2432, Bonn–Koblenz, 5.04.97:

Ich bin gefangen in/von zwei Welten, und gerade hier, im Zug von der einen, noch im Entstehen begriffen[en], zur anderen, der alten Welt, überwältigt mich dieses Gefühl: daß ich weder in die eine, noch in die andere gehören will – in die eine, die neue, nicht, weil mich an sie (noch) nichts bindet, in die andere, die alte, nicht, weil mich zuviel an sie bindet, und vieles auch, was ich verdrängen oder vergessen will. Abstand zu halten ist schwierig, sich neue Wege und Stätten zu erschließen ebenso. Dies sind die Gedanken, die ich mir schon während vergangener Abende gemacht habe, und allzu oft überfallen mich Angst und Unentschlossenheit. Ich kämpfe dagegen, mit geteiltem Erfolg. Noch. Ich hoffe, die neue Welt wird siegen, während sie sich nun

gleichsam entfernt, ich sie hinter mir lasse für ein Wochenende und meinen Blick ausrichte auf das Bekannte, das Altvertraute, auf das ich mich zubewege – und das Gefühl der Hilflosigkeit schwindet, macht Platz für Heimat, unterdrückt die Sehnsucht nach der Weite, es "engt befreiend". Und in der nächsten Woche werde ich mich wieder elend fühlen bei dem Gedanken an den alten Ort, mit dem ich noch lange nicht abgeschlossen habe. Er bedeutet mir etwas – auch das will und muß ich verdrängen, Platz schaffen für das Neue, dessen Bedeutung mir noch unklar ist. Kommilitonen reden von Freiheit, Unabhängigkeit, beschwichtigen Anfängerängste. Vielleicht werde ich am Ende des Semesters ebenso denken. Ich hoffe es. Ich brauche die Verbundenheit zu einem Ort. Liebe ich das Reisen auch sehr: das Gefühl, heim zu kommen[,] wird immer stärker sein.

 

Tagebucheintrag vom 10. Mai 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

IR 2213 "Murgtal", Bonn–Mainz, 10.05.97:

Jetzt, wo ich wieder in einem Zug sitze, und die Landschaft verstreicht in meinem Blick, da erinnere ich mich an November, als ich von Würzburg nach Koblenz fuhr, die Angst im Herzen / im Verstand, und ich frage mich, was ich damals eigentlich gedacht habe, als ich schreien oder springen oder einfach tot sein wollte. Ob ich an die nicht enden wollende Zugfahrt dachte, also im Hier & Jetzt verweilte, oder an die graue Perspektivlosigkeit der Zukunft. Beides scheint mir möglich, letzteres freilich wahrscheinlicher.
Heute, wo ich gelernt habe, meine Gedanken momentan zu halten und das Zukünftige meinen Träumen und Ahnungen zu überlassen,

 

Tagebucheintrag vom 10. Mai 1997, Seite 2, und vom 11. Mai 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

erscheint mir dieser doch kaum ein halbes Jahr zurückliegende Vorfall wie eine weit entfernte und dennoch vertraute Erfahrung, von der ich nicht mal mehr mit Sicherheit weiß, daß sie tatsächlich geschehen ist, sie ist faßlos-faßbar, ein Grauschleier in meiner Erinnerung. Ich habe meinen Weg gemacht und weiß, vor einem halben Jahr wäre nichts von dem, was ich heute tue, denkbar gewesen. Es war nicht mein Weg allein. Ich habe anderen Menschen zu danken, die für mich da waren, die mir Hilfe zur rechten Zeit leisteten, und diese Dankbarkeit erfüllt mich bis heute, macht mich stolz und froh und glücklich und wohl auch ein wenig betrübt, da ich weiß, daß anderen ein solches Glück allzuoft nicht widerfährt. Nunja, ich bin ich, schätze ich, von daher …

 

IC "Andreas Hofer", Mainz–Bonn, 11.05.97*

– Hallo! Hallo! Haben Sie auch Eis? Haben Sie – Hat wohl nicht.
– Hat er Eis? Hat er kein Eis gehabt?
– Nein, er hat kein Eis gehabt.
– Na, der muß doch Eis gehabt haben! Hat der kein –
– Nein, der hat kein Eis gehabt.
– Naja, vielleicht hat er ja, wenn er wieder.
– Jaja.
– Jetzt geht dieses – Na, jetzt geh – Ich, was ist denn bloß los mit mir, krieg ich noch nicht mal – Ah, jetzt geht’s.
– Ja, und da: schon wieder grau.
– Gibt Regen.
– Jaja.

* desperate Omas, mitgeschrieben wie gesprochen

 

Tagebucheintrag vom 11. Mai 1997, Seite 2 und 3 (Faksimile)

 

– Gibt kein schönes Wetter mehr.
– Jaja.
– Fahren mittenrein in’ Regen. Mittenrein.
– Jaja.
– Aber gibt auch wieder Sonne.
– Jaja.
– Siehst du, da drüben, die Kirche, so schön mitten im Hang.
– Was?
– Ja, die gelbe da. Schön so überm Rhein.
– Achja.
– Ja, jetzt ist vorbei.
– Ja, geht ja schnell so mit ’m Zug. Sind schon bald da.
– Ja, oh, und wird schon wieder heller. Na, kommt die Sonne doch nochmal raus.
– Ja.

– Ah, jetzt kommt er wieder. Bringt was. – Na? Achso: Kaffee.
– Kein Eis?
– Nee nee, kein Eis. KAFFEE bringt der. Aber nicht für uns.
– Nee. Nee, wir wollten ja auch Eis …
– Aber der hat ja seinen Wagen gar nicht dabei.
– Nee. Nee. Ich versteh das nicht.
– Ist jetzt auch egal. Kommt sowieso bald der Bahnhof.
– Was?
– Na, müssen wir aussteigen. Dauert nicht mehr lang.
– Ach. Wenn das so ist.
– Ne?
– Ja, dann brauchen wir auch kein Eis mehr.

 

Tagebucheintrag vom 22. Juni 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

Kneipe "Bierfass", KO Hbf., 22.06.97:

Zu mir kommen die Leute mit den uneigenen Gedanken, die reden viel, die sind auch recht gewandt manchmal, die tun immer so, als könnten sie nichts dafür, daß sie so laut und arm und immerfröhlich sind – mit denen rede ich, was ich nicht denke, und manchmal, wenn sie mir lästig werden, was ich denke, und sie nicken dann verstört und versuchen sich in gleichgültigem Verständnis –
Zu mir kommen die Leute mit den eigenen Gedanken, die schweigen meist, die reden nicht viel, doch was sie sagen, ist überlegt, selbst dann, wenn sie (wie so oft) verzweifelt sind, und sie tragen an der Schuld, die nicht die ihrige ist, und: sie tragen sie gern – mit denen rede ich, was ich denke, meist sind wir uns einig, wenn nicht, respektieren wir einander in tiefer Verbundenheit – wir sind einfach so.

 

Tagebucheintrag vom 8. Juli 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

IC Münster–Osnabrück, 08.07.97:

Den "Allwetterzoo Münster", wie es in einer Bahnhofsreklame hieß, verlassend, nun reichlich spät auf dem Weg über Osnabrück nach Bielefeld, will ich eigentlich nur unterwegs sein – mit gleichgültigem Ziel. In der Künstlerkolonie,* die ich heute besuchte, und wo ein Schild am Eingang zur Küche hing, fast prophetisch:

S
wird
Ernst

– da pflegt man das gemeinsame Abendessen, buntgemischt der Haufen aus acht bis zehn Leuten aller Altersschichten und Kunstsparten. Ob ich mich wohlgefühlt habe? Ich weiß es nicht. Ja, das Essen schmeckte ausgezeichnet,

* gemeint ist das Künstlerdorf Schöppingen

 

Tagebucheintrag vom 8. Juli 1997, Seite 2 und 3 (Faksimile)

 

wenn auch der Koch ständig betonte, es sei zu wenig Salz an seinem Fleisch-Gemüse-Eintopf, zu wenig Salz, und jedem unaufgefordert ein Schnapsgläschen voll des Gewürzes in die Hand drückte. Es schien fast, als schäme er sich seiner Unvollkommenheit, dieser hervorragende Künstler auf allen Gebieten (ich sah seine Installationen, ich hörte, er schriebe gut, ich wußte, er beherrschte das Kochen und die Frauen). Nun senkt sich der Abend auf das Münsteraner-Osnabrücker Land und ich fahre "mit ungewissem Ziel". Das liebe ich: Fahrten in die Dämmerung. Es rührt mich, mein versteinertes Herz, meine knorrigen, allzu verbohrten Gedanken. Dann liebe ich auch all die Menschen um mich und, letztlich, sogar mich selbst. Und sollte mir wohl ein Stück Dämmerung im Geiste bewahren …

 

SE [Stadtexpress] Osnabrück–Bielefeld, dto.:

Was für ein Anblick, wenn das Land nach und nach in Dunkelheit fällt, zumal im Sommer – zumal ein so schönes Land wie dieses! Man möchte – Ich möchte (ich sagte es schon) ewig verweilen in der Dämmerung. Stand nicht auch mein Balthasar Weber, die angedachte Figur von 1992, in der Dämmerung auf einer Landstraße in Feuerland?* Waren/Sind dies nicht wahrhaft magische Momente? Da draußen ist nur Landschaft (aber immer Landschaft); lediglich kleine Lichtschimmer künden von Ortschaften. Und der blaßfeurige Horizont im Westen …
Ich fahr gen Nordosten, Bielefeld, C., H., eine Stunde entfernt. Im Abteil ist es angenehm ruhig (naja, ein lauter Walkman, jedoch mit angenehmer Musik). Hier darf ich sein. Hier will ich sein.

* ein nie geschriebener Roman

 

Tagebucheintrag vom 1. Oktober 1997, Seite 1 und 2 (Faksimile)

 

IR 2311 "Borkum", BN–KO, 01.10.97:

Ja, was soll ich anderes schreiben: Schon wieder unterwegs. Möge es nie Zeiten geben, in denen das nicht so ist! Zuhause erwartet mich nun eine etwas kränkliche Oma und 1 Tag zum Ausspannen, bevor es schon wieder, ein letztes Mal noch vor Semesterbeginn (=Vorlesungsbeginn), auf die Schiene geht, am T.d.E. nach Schwerte/Iserlohn, Samstag nach Bielefeld, Sonntag zurück nach Bonn. Drei Monate lang quasi nichts getan – so schnell vorbei die Zeit, aber viel ist passiert und nicht alles, was ich mir vorgenommen hatte, habe ich getan.* Am H.D.** habe ich, abgesehen von dem zaghaften Versuch einer Überarbeitung des 1. Teils, nicht weitergewerkelt; T., schwangere Bekannte, habe ich trotz Versprechens nicht besucht; in Berlin war ich nicht, was ich doch so gern wollte,

und auch nicht in Würzburg DIESER SCHEISS ZUG NOCH NICHT MAL RUHIG SCHREIBEN KANN MAN HIER!!! tja, und S. ist jetzt in Amsterdam, T. bald in Leipzig, M. in Rumänien seit einer Woche. Ich bin in Bonn, es geht mir gut, wirklich, ein bißchen Schiß hab ich vor der Nachschreibklausur nächste Woche und dem neuen Fach Philosophie.*** Irgend etwas Schlechtes wird passieren in nächster Zeit, das spüre ich. Es läuft bisher alles viel zu glatt.

* Seltsam, aber so steht es geschrieben …

** H.D. = »Highwire Dancer – Drift & Grundeis«, einer der wenigen (teilexperimentellen) Romane, die ich zumindest fertiggeschrieben habe; die Überarbeitung allerdings gab ich bald auf. Immerhin: Ausschnitte daraus schafften es bis in die SWR 2-Sendung »Literatur auf dem Prüfstand«, wo sich ein paar Kritiker, angeführt von Martin Lüdke, darüber hermachten und es brav zerhackten – völlig zurecht, wie ich heute einräumen muss, aber damals war ich mächtig sauer, oh ja. Ein paar Monate später wechselte ich das Genre, wurde Lyriker und blieb es, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bis heute.

*** Begonnen hatte ich mein Studium im Sommersemester 1997 mit Anglistik als zweitem Nebenfach, musste aber sehr schnell erkennen, dass mein Englisch bei weitem zu schlecht dafür war. Dafür haperte es später in Philosophie mit der Logik.

 

Tagebucheintrag vom 6. Dezember 1997, Seite 1 (Faksimile)

 

KO Hbf., RB [Regionalbahn] Köln-Deutz, Gleis 2, 06.12.97:

In diesem Abteil lauter Gescheiterte: drei Mädels, offenbar unter Drogen, gerade wieder am Runterkommen und dementsprechend schlecht gelaunt (die eine, eine Frierende, sagt zu den anderen beiden: "Von euch geht eine Kälte aus!"; die beiden murren); ein Öko, den ich schon mal irgendwo erwähnte, genau der, und klagt sein Leiden dem ihm Gegenübersitzenden, einem Arbeitslosen; ein paar Jugendliche, die sich anpöbeln – aber das ist wohl nur Gemeinschaftssinn …
Irgendwie fühle ich mich wohl

 

Fortsetzung hier. Aber vorher noch etwas Musik:



[David Ford :: Song For The Road :: lyrics]

 

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Samstag, 27. September 2008
das rote buch (ii)
(Für R.)

 

Tagebucheintrag vom 9. April 1997, Seite 1 und 2 (Faksimile)

 

Parkbank auf der Poppelsdorfer Allee, unweit des Poppelsdorfer Schlosses, Bonn, 09.04.97:

Ich habe diesen Platz mit Absicht aufgesucht. Schon als ich das erste Mal hier war, kam mir der Gedanke, einen Text zu schreiben, was ich nicht tat. Jetzt ist es Abend, und der Platz hüllt sich in Abgeschiedenheit, abgesehen von den wenigen Spaziergängern und Joggern und gelegentlich vorbeifahrenden Autos. Die meisten Leute gehen zügigen Schrittes.
Ich weiß noch: als ich das erste Mal, am zweiten Tag meines Hierseins, angetrieben, die Gegend zu erkunden, hierher kam, wollte ich zunächst nicht an diesen Ort glauben. Ich war um eine Ecke gebogen, und mit einem Male war da dieser Teich, der sich wie ein stiller Fluß gebärdet, mit Enten und Fischen, und ich verfolgte

seinen vermeintlichen Lauf und gelangte an das Schloß, sah mich um und erblickte die lange Allee, an deren Ufer ich nun sitze, und sagte mir: "Dies ist ein Traum. Nichts davon wird morgen mehr da sein." Denn es erschien mir unbegreiflich, daß dieser Ort Wirklichkeit sein sollte, so nah bei meiner Wohnung gelegen, zumal ich zuvor doch den Stadtplan studiert und ihn nicht darauf zu finden vermeint hatte. So genoß ich den Augenblick des Hierseins im Gedanken daran, daß er unwiederbringlich sein würde, erfreute mich an der vermeintlichen Irrealität, schlenderte die Allee hinunter, jeden Baum eingehend studierend, mir jedes Einzelbild auf meinem Gange genau einprägend, um später einmal darüber schreiben zu können. Am nächsten Abend stellte ich fest, daß er noch vorhanden war, der Ort, was mich enorm beruhigte, allerdings auch die Einmaligkeit des Erlebten in Frage stellte.

 

Tagebucheintrag vom 9. April 1997, Seite 3 und 4 (Faksimile)

 

Nun denn, ich habe zurückgefunden.
Es verwundert mich, daß zu dieser dunklen Stunde Menschen sich Zeit & Muße nehmen, am Zaun um den Teich herum zu verharren und ihre Gedanken über das stille Wasser gleiten zu lassen. Manche schlendern, allein oder zu zweit, über die Brücke in den Park des Schlosses, der jetzt noch brach wirkt. Auf dem Rasen zwischen der Allee steht ein junger Mann und jongliert. Ein paar Passanten bleiben stehen und beobachten still, gehen weiter. Ohne die Autos wäre dieser Ort eine Idylle inmitten der Stadt. Viele Radfahrer sind unterwegs, nach Hause, vermute ich, während nun die Kälte der hereinbrechenden Nacht über den Platz schleicht.
Beim ersten Mal erinnerte mich dieser Ort an Paris, die Champs-Elysées vom Arc de Triomphe hinunter zum – wie auch immer der Platz heißen mochte. Ich war nahe daran, in meiner Seligkeit

einen der Vorbeigehenden anzuhalten und nach dem Namen des Pariser Platzes zu fragen – tat es jedoch nicht, wie ich so viele Dinge spontan nicht zu tun bereit bin. Manchmal wünschte ich – und gerade in dieser noch von Einsamkeit bestimmten Phase der Eingewöhnung –, ich hätte ein offeneres Naturell. Auch fröhlicher möchte ich sein. Ich möchte gemocht werden. Sicher, ich spreche mit vielen Leuten – aber nur mit solchen, die mich zuvor angesprochen haben. So gebe ich mir selbst kaum die Chance, bald aus dieser Einsamkeit ausbrechen zu können. Wie gerne würde ich es erleben wollen, daß einer der Passanten sich zu mir setzte, um sich mit mir zu unterhalten, und sei es auch nur über Belanglosigkeiten. Aber allein das Schreiben signalisiert Abweisung und Abwesenheit des damit Beschäftigten, wirkt vielleicht auch arrogant auf die Vorbeigehenden, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie mich

 

Tagebucheintrag vom 9. April 1997, Seite 5 (Faksimile)

 

überhaupt wahrnehmen.
Wenn ich morgens auf dem Weg zur Uni den vielen Menschen begegne, die weder glücklich noch erfüllt wirken, möchte ich einige am liebsten anhalten und ihnen ein Lächeln ins Gesicht malen. Ein hoffnungsloser Traum. Ich könnte mit ihnen reden – wahrscheinlich würden sie abweisend reagieren oder mich unverständig anschauen aus ihren seltsam weiten Augen, Blicken, die den Betrachter selbst in die Leere (der Seele) hineinzustürzen scheinen. Möchte gar nicht wissen, auf wieviele derer, die mich bewusst wahrnehmen, ich denselben Eindruck mache …
Die Straßenlampen, die im Teich zu versinken scheinen, und die verschwommenen Spiegel der Häuser und Bäume im Wasser – wie symbolisch mir das erscheint für das Leben in den Städten! Auf dem Land ist es schlimmer: nicht einmal Spiegel! Ich werde an mich denken, wenn ich jetzt nach Hause, soz., gehe.

 

Zum 1. April 1997 zog ich nach Bonn um, schrieb mich ein, wartete auf ein neues Leben. Und bekam es.

 

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