Freitag, 25. Januar 2008
Tagebuch | 22./25.01.2008

 

die meisten tage stolpern so dahin, immerhin: sie bewegen sich. zur ausübung meines berufs bedarf es eines schreibtischs, eines computers mit internetanschluss und ruhe, wenn auch nicht unbedingt einsamkeit. das ist nicht immer schön und tut auch nicht immer gut. ich rauche zuviel, verbummle zuviel zeit mit unwichtigem oder damit, zu überlegen, was wichtig ist, ohne mir diese frage letztlich beantworten zu können. ich schlafe zu tief und zu lang, aber das erst seit ein paar tagen. pflege die vage hoffnung, dass die zeit dort draußen einfach stehen bleiben und es letztlich auch reichen könnte, sich nur im geiste voranzubewegen. weiß, dass das nicht reicht.

mein verstand ist wach, ständig. deshalb irritieren mich träume von riesigen insekten (und das ist keine Kafka-anspielung) und verunsichern mich solche ›diskussionen‹, wie sie momentan um »gewalttätige jugendliche mit migrationshintergrund« geführt werden. mitunter sehe ich überall die hässliche fratze des faschismus. Biermann meinte mal (sinngemäß), man solle vorsichtig sein mit der anwendung dieses begriffes, damit er nicht seine bedeutung verliere und nicht mehr greife, wenn der ›echte‹ faschismus wieder vor der tür stehe. ich bin vorsichtig, aber je vorsichtiger ich werde, desto deutlicher sehe ich diese fratze vor mir, so deutlich, dass ich mich frage, warum nicht viel mehr leute, kluge leute, aufschreien, wenn in diesem land wieder einmal über »sicherheit vor freiheit« gefaselt und über neue möglichkeiten nachgedacht wird, die rechte der bürger einzuschränken.

es ist schwierig, im angesicht des unrechts nicht selbst ungerecht zu werden. wie ein mantra bete ich mir (guter katholik, der ich war) immer wieder vor:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser.
muss man, um ›den boden für freundlichkeit zu bereiten‹, selbst unfreundlich werden? und wenn ja, in welchem maß?

vielleicht sind die zeiten aber auch gar nicht so finster, wie ich sie mir einrede. vielleicht sind nur meine augen lichtempfindlicher geworden. – »da hilft nur, aufzustehn und mal was andres sehn ...« – wir befinden uns in einem kabarett, berlin im spätsommer 1929. auf der bühne Kurt Gerron, theresienstadt ist noch weit, am klavier Rudolf Nelson, das publikum, einem bild von George Grosz entsprungen, kreischt vor lachen. um schlag zwölf werden sie sich alle wieder in mäuse verwandeln, sie wissen es nur noch nicht. bis dahin wird getanzt und getrunken, geraucht und geflirtet, während sich die stadt, ganz langsam, aber merklich dem verfall entgegendreht. – »da hilft nur, aufzustehn und mal was andres sehn ...« – vor ein paar tagen habe ich zufällig eine kneipe entdeckt, die tatsächlich zum »raucherlokal« deklariert war: ein unscheinbarer irish pub am landwehrkanal, aber, wie sich – leider erst am ende, als der wirt, wohl neue stammkundschaft witternd, mir und meinem begleiter eine kleine führung anbot – herausstellte, mit einem dart- und einem billardzimmer bestens ausgestattet. M. und ich hatten ein paar stunden dort zugebracht, ein paar bier getrunken, geredet, es war erholsam, endlich auf andere gedanken zu kommen, oder besser gesagt: auf die gedanken eines anderen.

M. steht vor einer entscheidung: soll er's wagen, sich eine existenz als freier autor aufzubauen? ›freier autor‹, das klingt ebenso aufregend wie unbestimmt: sein eigener herr sein und sein brot mit schreiben verdienen – nur wie man das macht, weiß keiner so genau, und um ein risiko scheuen oder eingehen zu können, muss man es natürlich erst einmal kennen. als ich noch in den autorenverbänden meines heimatbundeslandes aktiv war, habe ich einige gestalten getroffen, die sich als freiberufler angemeldet hatten, nur weil sie in irgendeinem klein- oder gar im selbstverlag mal ein bändchen veröffentlicht hatten und nun auf den großen geldsegen warteten. ihnen allen war gemeinsam, dass sie sich verkannt fühlten und böse mechanismen am werk sahen, die ihnen den weg zum ruhm verwehrten. was man auch dagegen einwandte, immer waren die ominösen ›anderen‹ schuld an der misere: der verlag, der sich nicht genug um die vermarktung kümmere, der lektor, der ein manuskript abgelehnt habe, obwohl es doch mindestens »ein zweiter ›Ulysses‹« (ausgerechnet!) sei, der redakteur, der einem ein wenig leichtsinnig erzählt hatte, dass er selbstverlegte bücher prinzipiell nicht rezensiere, und schließlich wir, die ehrenamtlichen ›funktionäre‹, die ihm noch nicht einmal eine lesung verschafften. nur die qualität der eigenen texte war natürlich über jeden zweifel erhaben, und sich selbst etwas mehr engagieren? »ja, wozu gibt es denn euch!«

auf M. trifft das zum glück nicht zu. er ist realist genug, zu wissen, dass man höchst selten ›entdeckt‹ wird, wenn man nur zu hause rumhockt und sich nicht selbst von der stelle bewegt (sieh an, ein bogen zum anfang dieses eintrags! ts!). es ist eben so: die, die einen entdecken sollen, muss man erst selbst entdecken, man muss ihnen ein stück entgegenkommen, und das ist oft mühsam, zeitaufwendig, mitunter auch frustrierend. »aber weißt du, was mich persönlich am meisten frustriert hat?«, sagte ich zu M. »das waren die popliteraten. diese plötzliche schwemme an jungen autoren, die zum teil auch noch jünger waren und so ganz anders schrieben als ich und damit erfolge feierten. da wusste ich, dass ich in diesem theater nicht mitspielen kann.« auch so eine schutzbehauptung. dass jemand erfolg hat, sagt allein ja noch gar nichts aus. immerhin haben uns nicht zuletzt die popliteraten der 90er gezeigt, dass es weniger auf die literarische qualität ankommt als vielmehr darauf, dass das ›package‹ stimmt: autor und text zusammen müssen authentisch wirken, ›credibility‹ ist gefragt und ist das, was letztlich vermarktet wird. trifft natürlich nicht auf alle fälle zu. die kunst ist allerdings erst einmal, dahin zu kommen, dass man vermarktet wird, also: entdeckt zu werden. und wenn man ›gut ist‹ und kritikfähig, dann lohnt sich das wagnis, at least: man lernt eine menge dabei. sagt der, der es selbst nie ernsthaft versucht hat.

die meisten tage stolpern so dahin. ich rauche zuviel, verbummle zuviel zeit mit unwichtigem, ich schlafe zu tief und zu lang, träume von riesigen insekten. pflege hoffnungen. weiß, dass das nicht reicht. immerhin: mein verstand ist wach

filmchen gefällig?



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nächtliches suchtverhalten
Hallo M.,

mich hat es überkommen.
Bisher eher noch mehr beobachtend als agierend in dieser neuen welt.
aber ich kann nicht davon lassen
und lasse mich vom einem zum anderen treiben
und versuche mir ein bild zu machen
wo man sich vielleicht keines machen kann
nur ein eigenes kreieren
so verbringe oder verbummle ich
je nachdem
und entziehe mir schlaf
wo ich anderes wichtigeres tun sollte
aber für dich ist doch schreiben das ein und alles
für mich ist es nur ein ausufern, ein ausweichen
möchte man meinen
bestenfalls ein hobby
für dich beruf-ung
oder nicht?
so hab ich es immer gesehen
also wage es
kannst du nicht auch von der sicheren seite des erstmalbeidestun anfangen?
und dann mit dem sicheren neu gewonnenen boden unter den füssen den weiteren schritt wagen?
schlafen
ich sollte schlafen
aber du definitiv schreiben
vielleicht nicht genau jetzt
kurz vor fünf
aber morgen wieder
spätestens
;)
mit einer umarmung
und an dich glaubend
lilith

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