Mittwoch, 24. Dezember 2008
weihnachtsgrüsse aus der provinz heimat
Weihnachtsgrüße aus E. (Postkarte von ca. 1953

postkartenmotiv von ca. 1953. – die kirche hat längst keinen zwiebelturm mehr, auch die bauernhöfe sind größtenteils verschwunden und die winter bringen nur noch selten so viel schnee, dass man an den hängen über dem dorf schlitten fahren könnte. aber schön friedlich ist es hier. meistens.

 

* * *

ebernhahn I: lage/bestimmung

vom hang an talwärts fliessend breitet der ort sich unsymme
trisch das zentrum am nördlichen ende ringsum in felder
der barsche himmel spannt sich und brandet über
die hohen hügel in unbebaute äcker münden
gefräßige tongruben stürzen und steigen
auf halden hinaus und ertrinkt in
zäher luft bis wieder hinauf an
den waldrand lässt ferne lässt
tiefe — und wegkreuze die
auf geschichte verweisen

 

ebernhahn II: geschichte

vom stolz des ortes erzählen
die trümmerlosen stätten:

hier die kapelle
hier war der backes
hier war die kirche
hier unsre felder


keine gedenktafeln keine
chronik in feuchten
kellern schimmeln die
akten des dorfes mit
genehmigung der gemeinde

geschichte schweigt
am trümmer
losen ort

 

ebernhahn III: leben

im sommer ernten
druuschele plicke*
von dornigen sträuchern
im herbst den wind verfolgen
der die felder wiesen bäume
durchkämmt umpflügt bestellt
im winter hasen katzen vogel
spuren lesen im kristallnen schnee
im frühling bestellung der gärten
(tomaten, kopfsalat, erdbeeren)
brennesselsaat auf den brachen
dem aufbruch der erde lauschen
nichts erwarten ausser
den nächsten regen
laub und blütenfall
hitze und frostschlag und
an jedem morgen den
nebel über den wiesen und
das rot in den bäumen
am abend

 

das gedicht entstand zwischen dem 31. mai und dem 3. juni 1999 und wurde am 3. und 4. juli 2001 grundlegend überarbeitet. es wurde zuerst im rahmen des internet-projekts textropolis veröffentlicht. der erste teil, »lage/bestimmung«, erschien außerdem in der anthologie Lyrik von Jetzt (hrsg. von Jan Wagner und Björn Kuhligk, köln: DuMont, 2003).

die verschiedenen biografischen und werkimmanenten bezüge sollen in einem späteren eintrag erläutert werden. ich bitte noch um ein wenig geduld.

 

* hochdt.: stachelbeeren pflücken (zugleich der titel des einzigen gedichtes, das ich jemals auf ›ebernhähner platt‹ geschrieben habe)

 

... link (1 Kommentar)   ... comment


Sonntag, 23. März 2008
In dem kühlen Grund

 

(vs. Tom Waits feat. J. v. Eichendorff & W. Ganzhorn)

Du armer Hund!
     Sitzt sturzbetrunken im Café und simulierst
     Die Träume, die dein Leben nicht erfüllen wollte.
Scher dich nicht drum!
     Denn irgendwer gibt schon die nächste Runde aus
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles, tiefes Tal
     grüß tausendmal

Und heul nicht rum!
     Die nächste Flasche geht ja schon von Hand zu Hand
     Kein Gast wurd je im Café Wundermild vergessen
Auf ex – und hopp!
     Hier ist ein Wartesaal
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles, tiefes Tal
     grüß tausendmal

Jetzt schau dich um!
     Da draußen haben Kinder in den Weiden
     So blaue Bänder, Galgenstricklein, aufgehängt
Welch ein Idyll!
     Die Katze döst am Dornstrauch unter Beeren
In dem kühlen Grund
Im kühlen Wiesengrund
Dein stilles Heimattal
     grüß tausendmal

Sei nicht so dumm!
     Ein Mühlrad geht im Kopf herum, doch immerhin
     Die Liebste ist dir treu. Mach kein Geschrei
Geh lieber heim! Geh nie mehr in die Stadt!
     Begrab dort deine Träume
In dem kühlen Grund
Dem kühlen Wiesengrund
Im allzu stillen Tal, so wie
     schon tausendmal

Die Angst geht um! – Spürst dus?
     Jetzt wirf die Flasche weg, nimm dein Gewehr
     Ne Packung blaue Bohnen noch dazu
Und baller rum!
     Zerklump das scheiß Klavier, wer braucht das hier!
In dem kühlen Grund
Dem kühlen Wiesengrund
Grüß zum letzten Mal
     dein Jammertal

Und stumm! Häng hier nicht länger rum!
     Die Träume hast du mit nem saubren letzten Schuss
       durchs Dach erledigt. Brav.
     Sprich dein Gebet, das Seil gut eingeseift / vergiss
       das Fährgeld nicht! (unter der Zunge zu plazieren)
Dein letzter Gang
Durch den kühlen Grund
In den kühlen Grund
Verlass den Wartesaal
     Dein tiefes Tal

 

Das Gedicht entstand zwischen dem 24. und 26. Januar 2004, inspiriert durch Texte der oben genannten und verlinkten Herren. Es ist Teil einer Reihe von freien Liedübertragungen, die Crauss und ich ein paar Jahre lang fast wettstreitartig angefertigt und unter dem gemeinsamen Titel »Gesprochene Lieder« zusammengetragen, teilweise auch bei Lesungen präsentiert haben.

Statt einer weiteren Erläuterung zum obigen Text hier ein Auszug aus einer Mail vom 22. November 2007:
Lieber P.,

[...] Über Eichendorff schrieb ich vor Kurzem noch an einen Freund ein paar sehr herbstlastige Zeilen:
    »Du kennst doch dieses wunderbare Gedicht ›In einem kühlen Grunde‹ vom Taugenichts Eichendorff? Das ist mein Inbegriff der Melancholie. Rilke trägt da viel zu dick auf, überreizt die Tränendrüse gehörig. Aber Eichendorff hat uns, glaube ich, was zu sagen. Auch wenn es das ganze Inventar, seine Mühlen, Spielmänner, Reiter und blut'gen Schlachten so nicht mehr gibt – das Gefühl, das er beschreibt, diese Trauer über erlebte Enttäuschungen, dieses Seiner-selbst-überdrüssig-Sein, vor den eigenen Träumen zu verzagen und lieber sterben zu wollen, als die Ungewissheit des eigenen Willens und der eigenen Freiheit weiter ertragen zu müssen. In diesem kleinen Liedchen liegen, wenn man's genau betrachtet (aber seit ›Matrix‹ wissen wir ja, was mit den Dingen geschieht, wenn man sie genauer betrachtet – ›there is no spoon!‹), eineinhalb Jahrhunderte Geschichte begründet und begraben. Und kein Männergesangsverein schafft es, uns das zu zersingen.«
Das ist schon so. Immer wenn ich Rilke lese, schäme ich mich fast dafür, dass mich seine melancholischen Gedichte so tief berühren – weil sie mir geradezu darauf angelegt scheinen, feinen Fräuleins beim Nachmittagstee ein Seufzen zu entlocken, so stelle ich mir das jedenfalls vor. Diese heroische Einsamkeit, die aus vielen seiner Texte spricht, klebt.

Ganz anders bei Eichendorff, der es immer wieder schafft, mich zu überraschen. »In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad« – Idyll – »mein' Liebste ist verschwunden, die dort gewohnet hat« – Melancholie – »... Sie hat die Treu gebrochen, mein Ringlein sprang entzwei« – Trauer, und direkt daran anknüpfend die Frage: Was fängt man nun an mit seiner ungewollten neuen Freiheit? »als Spielmann reisen weit in die Welt hinaus«? »als Reiter fliegen wohl in die blut'ge Schlacht«? Jedenfalls: bloß schnell weg hier! Aber so einfach ist das nicht: »Hör' ich das Mühlrad gehen, ich weiß nicht, was ich will« – Zweifel, und dann: »ich möcht' am liebsten sterben, da wär's auf einmal still« – Das Idyll vom Anfang wird am Ende zum Anlass schierer Verzweiflung – André Heller fällt mir ein: »Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück.« –, das Angenehme, Beruhigende birgt schon die Katastrophe, es wandelt sich ins genaue Gegenteil. Aber genauso ist das ja mit Gefühlen: Da mag der eigene Wille noch so frei sein, sie lassen sich von ihm nicht dirigieren. Da hilft auch alles heroische Denken und Sich-selbst-neu-Entwerfen nichts, der »kühle Grund« gerät zum Grab, die Idylle wird zum (Selbst-)Mörderstück (wie war das: »Gedichte reagieren auf Gedichte zurück«?).
›Original‹ gefällig?



[Tom Waits: Cold, Cold Ground (live 1987) :: direktwaitsen]

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 17. Februar 2008
Süd-stadt-frühling

 

ja, ich weiß, es ist noch etwas zu kalt da draußen für liebesgedichte, aber da ich gerade von der poppelsdorfer allee sprach: hier ein text, den ich vor zehn jahren, im frühjahr 1998, dort verfasst habe:

 

    Süd-stadt-frühling

    Wo i geh und steh / tut mir mei herz so weh

    Denn frühling bläst verliebtheit durch alleen
    Wie heuschnupfn greifts um sich
    Greift sich menschchen am schlafittchen
    Gräbt sich tief in bronchen
    Pfeift durchs blut und trifft
    MIT-TEN-INS-HERZ

    Wann d’herzmusi spuilt
    Hast keine ruh nicht mehr
    Hast den verstand im aschenbecher ausdrückt
    Mit der letztn winterkippn die noch wusst
    Von herbst(herz)leid : wer jetzt-keinhaus &
    jetzt-alleinist wird es lange

    Jetzt wander ich wie ein verlorner
    Wie ein verlierer wander ich beschämt
    Durchs stadtbild drängts mich hin
    Zu der erlösung der alles lösenden krank
    heit und schreits und singts aus mir heraus :

    Wennich verliebtbin muss ich jo-dln

 

das gedicht ist eines von etwa zehn liebesgedichten, die ich in jenem frühjahr in kurzer folge hintereinander wegschrieb. fast alle davon entstanden auf einer parkbank auf nämlicher allee, und alle waren inspiriert durch dieselbe person. die schwärmerei für sie wich allerdings schon bald der ernüchterung. wie das eben so ist.

wie viele meiner texte ist »Süd-stadt-frühling« in erster linie zum vortrag bestimmt. wortkomposition, zeichenformate, interpunktion und enjambements verdeutlichen meine vorstellung davon. und wie andere gedichte weist auch dieses mehr oder minder deutliche referenzen auf, so etwa auf den »erzherzog-johann-jodler« und einen titel von Franzl Lang. warum ausgerechnet volkstümliche lieder? weil ich mit ihnen aufgewachsen bin. ich stamme aus einem ernst-mosch-haushalt, war selbst zehn jahre lang mitglied eines blasmusikorchesters, das zum großen teil solche nummern gespielt hat, und auch wenn ich privat alles andere als ein fan dieser musik bin, muss ich doch zugeben, dass es spaß gemacht hat.

zusammen mit anderen texten zum thema liebe erschien »Süd-stadt-frühling« im april 1998 in einem kleinen heftchen, das ich hauptsächlich für freunde zusammengestellt und selbst verlegt hatte. mehr dazu & daraus demnächst.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 28. Januar 2008
kleine idyllen (4)

 

12 uhr: der rasen bellt
vorüberschreit ein schwärmchen schüler
noch ganz warm vom regen
der ins graue fällt

mein träger blick fängt keinen
baum mehr ein und keine
farbe lädt ihn dazu ein als gast
dort draußen zu verweilen

ach! würd die alte frau im erdgeschoss
mich nicht zur gartenarbeit runterbrüllen

ich blieb wohl weiter hier und übte
meine schrift in tranigen idyllen

 

Am 9. Mai 2004 las ich zusammen mit dem Künstlerpoeten Olaf n. Schwanke in der Städtischen Galerie Haus Seel in Siegen. Unsere Matinee trug den Titel »Kleinstadtpoeten im Park« und war eine Mischung aus eigenen und fremden Texten, unter anderem von Kästner, Rilke, Benn, Wondratschek und Born. Zum Abschluss sangen wir gemeinsam den Kreisler-Hit »Tauben vergiften im Park«. Einen Tag später entstand, als zweites von vieren, das obige »Idyll«.

Marcel Diel und Olaf n. Schwanke im August 2002 (Foto: Crauss)

Wer Schwankes Texte kennt (der Dichter steht leider auf Kriegsfuß mit den neuen Medien, daher finden sich kaum welche im Netz; auf der Website des Mainzer Kulturtelefons kann man ihn sich aber immerhin anhören), wird in diesem Gedicht vielleicht einen Hauch davon wiederentdecken. Mich selbst hat beim Schreiben vor allem das »schwärmchen schüler« so sehr an ihn erinnert, dass ich schon fast ein unbewusstes Plagiat in Erwägung zog – was es jedoch, wie ich mich versichert habe, nicht ist.

Übrigens ist im vergangenen Jahr nach zahlreichen Ausstellungskatalogen und bibliophilen handgemachten Bändchen endlich Schwankes erster nicht selbstverlegter Gedichtband erschienen: Verse. Voll. Jetzt im Conte-Verlag Saarbrücken.

Zum Bild: Lauschig: Die zwei Dichter auf dem Mainzer Zentralfriedhof im August 2002. Rechts im Bild Herr Schwanke. Und siehst du die Gräber dort im Schnee? Das sind die Leser von Juli Zeh. (Foto: Crauss.)

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 27. Januar 2008
kleine idyllen (3)

 

9 uhr: ich pflücke die zeilen
meines gedichts aus der luft
wie spatzen die lerchen vorgeben
trau ihrem singsang nicht

allzu schnell wird mein griff
zur faust zerbricht sie zu federn
knochen blut breiwerk das
seine form nicht kennt

besser den blick
nach innen zu wenden?

besser: ich bau dir
mein wort in den wind

 

Vom 30. April bis 2. Mai 2004 nahm ich an einer Schreibwerkstatt des Literaturvereins Südthüringen teil, die in einem ehemaligen FDJ-Heim in Untermaßfeld bei Meiningen stattfand. Ich war nicht zum ersten Mal dort. Schon 1994, als ich selbst noch Mitglied der (inzwischen längst aufgelösten) Autorengruppe Koblenz war, hatte sich der Kontakt zu den Thüringern ergeben, und eine Zeit lang fuhr eine kleine Delegation von uns jedes Jahr nach »U'feld«, um dort gemeinsam über Texte zu diskutieren, neue zu schreiben und regelmäßig bis spät in die Nacht zu klönen. Das verschlafene Dörfchen, eingebettet in eine der schönsten Landschaften Deutschlands, erwies sich dabei als höchst inspirative Umgebung und hatte damals noch eine weitere Attraktion zu bieten, einen Einwohner nämlich, der als einer der profiliertesten Naturlyriker der ehemaligen DDR galt: Walter Werner. Bei mir als damals noch recht dilettantischem Schreiberling hinterließ er großen Eindruck, und so finden sich Spuren seines Werkes in nicht wenigen meiner Texte. Leider blieb diese Begegnung einmalig, denn nur ein Jahr später, im August 1995, starb Walter Werner, und bis auf die wenigen, die ihn persönlich gekannt und teilweise schon in den 70er Jahren zu dem von ihm geleiteten ›Zirkel schreibender Arbeiter‹ gehört haben, erinnert heute kaum noch jemand an ihn (das kulturelle Gedächtnis ist grausam, vor allem unterbesetzt). Holger Uske, Schriftsteller und Vorsitzender des Literaturvereins, hat ihm unter anderem in zwei Artikeln, die in der von mir herausgegebenen Zeitschrift »Kritische Ausgabe« erschienen, ein Andenken bewahrt.

Bei jenem Treffen im Jahr 2004 allerdings wollte es mit der Inspiration nicht so recht klappen. Anne Gollin, die als Referentin aus Berlin angereist war, hatte uns ein Thema gestellt (wie es hieß, weiß ich nicht mehr, glaube aber, es war irgendetwas mit »Kindheit«), mit dem jeder für sich den Rest des Nachmittags zubringen sollte. Da mir partout nichts einfallen wollte, schlenderte ich ein wenig durch die Gegend, ließ mich von der Natur berieseln und dachte so vor mich hin, ich dachte: Wenn du nicht einmal nach Vorgabe schreiben kannst, wie soll aus dir dann ein Schriftsteller werden? Verinnerlichte das. Kehrte nach Hause zurück, und zwei Tage später, am 4. Mai 2004, schrieb ich dieses Gedicht – das erste von vier »Idyllen«.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 26. Januar 2008
kleine idyllen (2)

 

8 uhr: den tag sondieren / heißt

das abgelegte altpapier der nacht
ins haus zu holen dann im morgen-
kaffee saccharin (den traum) zu lösen
sich ins geäst vorm fenster chloro-
phyll zu denken strecken wachsen
mit den sorgen grob entworfen auf
dem umschlag einer unbezahlten rechnung

mach du die betten ich entsorg
den müll und bring die wäsche aus
dem keller mit beim spülen dann
entsteht aus einer maserung des
küchenbretts (der laune) eine
feine skizze dieses tages

 

Von den »kleinen idyllen« ist mir dieses hier persönlich das liebste. Entstanden ist es am 17. Mai 2004, also einen Tag früher als das gestrige Gedicht, und wurde ebenfalls als Plakat bei den Literaturtagen in Montabaur ausgehängt.

Da ich mir, ehrlich gesagt, gute Chancen ausrechnete, nahm ich damit außerdem am Jokers-Lyrikwettbewerb 2007 teil – und erhielt tatsächlich einen Preis, wenn auch unter ›ferner liefen‹: ein »Buchpaket im Wert von 100 Euro«, gestiftet von der Zeitschrift »Die Berliner Literaturkritik«. Das vermeintlich hochwertige Paket bestand allerdings aus offenbar aussortierten Rezensionsexemplaren, anders kann ich mir die höchst kuriose Zusammenstellung jedenfalls nicht erklären. Dafür, dass die Redaktion selbst ihrer Beteiligung an der Ausrichtung dieses Wettbewerbs nicht allzu viel Bedeutung beimaß, mag auch die Tatsache sprechen, dass er auf ihrer Website mit keinem Wort erwähnt wurde. Aber immerhin: »Sonderpreis der Berliner Literaturkritik« klingt doch nicht schlecht im Lebenslauf ...

Das Gedicht kann man übrigens via jokers.de »an Freunde empfehlen«[?]. Gedruckt erschien es in der BoD-Anthologie zum Wettbewerb, die allerdings weiter nicht der Rede wert ist.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 25. Januar 2008
kleine idyllen (1)

 

7 uhr: der morgen
ist ein müder wolf der seinen mond noch sucht

kaffee ist kein ersatz für nacht und
bitter schmeckt die luft im an-
gedimmten tag der nebel atmet über
das noch stille grün vorm haus

ziehn müde schon die stadtarbeiter ihre
rasenmäher an den start

 

Der Gedichtzyklus »kleine idyllen« entstand im Mai 2004 und markiert das Ende meiner ›lyrischen Phase‹, die immerhin etwa sechs Jahre umfasste. Er blieb Fragment. Geplant hatte ich sechs dieser »Tageszeitgedichte« (so einer der Arbeitstitel; ein anderer lautete »Pinnwandgedichte«), aber bereits nach vieren, die ich hier nacheinander präsentieren werde, ging mir die Puste aus.

Das vorliegende Gedicht stammt vom 18. Mai 2004 und ist sicherlich auch in irgendeiner Zeitschrift erschienen, die ich aber gerade nicht zur Hand habe (falls ich sie wiederfinde, reiche ich die Info gerne nach). – Im Vorfeld der 8. Rheinland-Pfälzischen Literaturtage* 2007 in Montabaur wurden Landesautoren dazu aufgerufen, Gedichte einzureichen, die auf Fahnen gedruckt und während des Festivals in der Stadt ausgehängt werden sollten. Ich beteiligte mich mit fünf Gedichten, von denen schließlich zwei – dieses hier und ein weiteres ›Mini-Idyll‹ – in die engere Wahl kamen. Schließlich hieß es, ich solle mich selbst für eins von beiden entscheiden, was ich auch tat: Ich wählte das andere. Und dann brach der Sturm los. Naja, ich will's nicht übertreiben: Eines der Jurymitglieder jedenfalls hielt ein geradezu flammendes Plädoyer »für den mondsuchenden Wolf«: Auf gar keinen Fall dürfe dieses Gedicht fehlen, und wenn man dafür den Text eines anderen Autors opfern müsse! So weit kam es aber zum Glück nicht. Am Ende beschloss man, beide »Idyllen« in den ›Fahnenkanon‹ aufzunehmen. Leider entpuppten sich die Fahnen dann allerdings als PVC-Plakate, die an Laternenpfählen und in Schaufenstern aushingen. Meine beiden habe ich selbst nie zu Gesicht bekommen.

* full disclosure: Als Vorstandsmitglied eines der ausrichtenden Verbände war ich an der Organisation der Literaturtage selbst beteiligt, hatte jedoch keinen weiteren Einfluss auf die hier beschriebene Aktion und trat während des Festivals auch nicht als Autor, sondern nur als Moderator zweier Veranstaltungen in Erscheinung.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 21. Januar 2008
ein gleiches (1)

 

Der Wahrheiten müde loben wir wieder die Gärten
verlegen uns auf Mädchen und suchen Leute auf
die wir mögen
(Nicolas Born, 1966)

Ein Gleiches
– für C. –

So sind wir einmal gegangen:
Du vorweg in Deiner Welt die ganz Stadt war
Und ich als Sammler Deiner Spuren

Jede einzelne hab ich aus dem Laub gelesen
Eifersüchtig jede Taube aufgescheucht die
Schamlos darin pickte /
    Längst hab ich Dich erkannt im Wechsel
    Bild der Schrift / Deine Konturen im
    Säurebad
               Nicht immer war Herbst
Aber immer war dieser Fluss an dem wir
Mit oder gegen das Wasser parlierten

Wenn wir dann saßen und ich meinen Blick ange
Kettet hatte im Himmel im Wort im Nebel
im Fluss im nächstbesten Baum

Hattest Du mit Deinen Worten bereits
Die ferne Stadt ganz und gar durchmessen
Wissend: dass sie nur Dir gehörte /
    Dein Blatt Papier: die camera obscura
    Zur Hand stets den Bleier gespitzt / am Ohr im
    Strumpfband im Hintern nach Laune
                               Und ich unfähig (was
Du ja wusstest) Deinen Blick nachzuahmen zum
Abschied von der Provinz meines Worts

Doch such ich noch heute Spuren in unserm
Gemeinsam begangenen Weg und weiß:

Die Deinen werde ich sicher erkennen —

 

Das Gedicht entstand im November 2001 und wurde, allerdings in einer früheren Version, in der Zeitschrift »Konzepte« erstveröffentlicht. Die hier wiedergegebene endgültige Fassung erschien etwas später im »Dichtungsring«.

Über mein Verhältnis zu Nicolas Born habe ich hier und da bereits ein paar Zeilen fallen lassen; C., dem das Gedicht gewidmet ist, ist derselbe wie im vorangegangenen Eintrag. Mehr über die Entstehung des Gedichtes hier.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment


menschen können das
einfach verschwinden
plötzlich einfach nicht
mehr da sein weg sein
fort sein ohne
nachsendeauftrag
postlos fort sein
ihr haus einebnen die
spuren im staub verwehn
abschliessen gehen ohne
blick zurück und
weg sein nicht mehr
erreichbar sein sich dem
vergessen anfreunden
lächelnd gehn oder
traurig mit glitzerndem
blick die augen ganz weit
geöffnet und leise ganz leise
dem anderen deuten dass dies
eine treffen für eine zeitlang
oder für immer das letzte war
sich umdrehn und gehn und
nicht mehr da sein das
unausgesprochene lang schon
mit sich herumgetragene
nächte durchwachte eine wort
nun einfach nicht sagen
zum trotz oder spott
einfach behalten und
mit sich nehmen und keinen
abdruck und keinen versuch
eines echos am ort hinterlassen
nur gehen sich wenden und
gehen und weg sein fort sein
für kurz oder immer das
können nur menschen

festketten muss man sich
an die welt dass man nicht
ebenso einfach ebenso plötz
lich nicht mehr

 

Das Gedicht entstand 1999 und bildete den Abschluss eines Zyklus mit dem Titel »Wesland« [sic!], den ich im selben Jahr als bibliophiles Heftchen selbst verlegte. 2003 wurde es in die DuMont-Anthologie Lyrik von Jetzt aufgenommen und damit einem größeren Leserkreis zugänglich. Und tatsächlich hat es über die Jahre Aufmerksamkeit erzeugt, kurioserweise vor allem im Ausland. So erschien der Text, ohne dass ich selbst etwas dazu tun musste, der Reihe nach in einer rumänischen Anthologie, einer dänischen Literaturzeitschrift (»Hvedekorn«) und einer polnischen Anthologie, jeweils in Übersetzung.

Via jokers.de kann man Gedicht übrigens auch weiterempfehlen.

 

... link (0 Kommentare)   ... comment